Bundesliga Bundesliga: So arbeiten die neuen Video-Schiedsrichter
Ab Start der Bundesliga entscheidet in jedem Spiel ein Video-Assistent mit. Der sitzt in Köln in einem Medienzentrum. Es wird spannend.
Köln. Ansgar Schwenken ist sich sicher. „So oft wird der Video Schiedsrichter in der Bundesliga gar nicht zur Anwendung kommen. Dafür sind unsere Schiedsrichter viel zu gut.“ Wenige Meter neben dem DFL-Funktionär lächelt Bundesliga-Schiedsrichter Sascha Stegemann, das Kompliment hört er gerne. Wann wird ein Schiedsrichter schon mal gelobt? Für gewöhnlich gilt das Wort: Nicht geschimpft ist genug gelobt. Schiedsrichter haben das verinnerlicht. Aber bald wird der Ärger über sie womöglich ganz verraucht sein. Dann nämlich, wenn mit Saisonstart in der Fußball-Bundesliga der Video Schiedsrichter als Schiedsrichter-Assistent bei jedem einzelnen Spiel zur Verfügung steht. Oder?
Vier Wochen vor der Saison-Ouvertüre zwischen Bayern München und Bayer Leverkusen am 18. August hat am Donnerstag die Deutsche Fußball Liga einen Einblick in das neue Fußball-Heiligtum gegeben: es ist ein schlichter Video-Raum im Kölner „Cologne Broadcasting Center“ am Picassoplatz: etwa 100 Quadratmeter groß, ausgerüstet mit Bildschirmen jedweder Größe. Fünf Arbeitsplätze für je drei Personen: Jeweils ein Profi-Schiedsrichter hockt vor den Monitoren als Video-Assistent, assistiert von zwei Video-Operatoren — und greift aus diesem Gemäuer in das Geschehen in den Bundesliga-Stadien ein. Immer dann, wenn der Schiedsrichter eine Fehlentscheidung getroffen hat. Oder etwa auch, wenn er eine klare Tätlichkeit in seinem Rücken gar nicht gesehen hat.
Alle 21 Kameraperspektiven des Unternehmens „Sportcast“, das das TV-Livesignal sendet, stehen dem Video-Assistenten jederzeit zur Verfügung. Auch ein Supervisor ist anwesend. Er greift ein, wenn es ganz schwierig wird: Sie kommen aus der Elite-Kommission der deutschen Schiedsrichter und heißen Hellmut Krug, Eugen Strigel oder Rainer Werthmann.
Wenn man Stegemann an diesem Tag zuhört, bekommt man einen Eindruck davon, dass das Profi-Schiedsrichterwesen dann doch noch einmal revolutioniert wird. Stegemann sagt: „Es ist eine neue mentale Herausforderung. Es wird facettenreicher.“ Der 32-Jährige aus Niederkassel (zwischen Köln und Bonn) ist einer von 24 für den Videoassistenten geschulten Bundesliga-Referees — 21 davon sind aktive, bei denen es durchaus in Frage käme, freitags am Bildschirm zu sitzen und zwei Tage später noch ein Spiel im Stadion zu leiten. Auch die gerade ausgeschiedenen Jochen Dress, Günter Perl und Wolfgang Stark sind am Bildschirm dabei.
Seit mehr als einem Jahr übt die Gilde für den Saisonstart. Livetests am TV-Schirm, Real-Tests auf dem Rasen — immer in Verbindung mit dem Video-Assistenten. Stegemann hat alles durch. Nie, sagt er, hatte er bei seinen Tests eine Szene, in der es den Video-Mann gebraucht hätte. Die Erfahrungswerte aus der nachgearbeiteten vergangenen Saison ergeben, dass es in 104 der 306 Erstligaspiele so genannte „spielrelevante Fehlentscheidungen“ gab. 77 davon wären mit Video-Assistent reparabel gewesen. „Der Rest“, sagt Schwenken, „waren falsche Abseitsentscheidungen.“ Die können nicht nachgestellt werden. Klingt logisch.
Wie in Russland beim Confederations Cup, wo Entscheidungen nach nur zehntägiger Schiedsrichter-Vorbereitung viel zu lange hinterfragt und dann noch zweifelhaft ausgelegt wurden, darf es beim deutschen Perfektionsanspruch nicht zugehen. „Wir wollen Innovationstreiber sein“, sagt DFL-Mann Schwenken und lobt den zentralen Standort Köln als einzigartig in Fußball-Europa. Alternativ wäre ein mobiler Van vor jedes Stadion zu fahren gewesen, das allerdings hat die DFL, die rund 1,8 Millionen Euro in die Technik gesteckt hat, mit dem DFB verworfen. Regiert wird nun immer aus Köln. Das technische System ist das gleiche „Hawk Eye“ (Habicht-Auge), das seit 2015 auch in der Torlinientechnologie genutzt wird.
Doch wie kann das Zusammenspiel funktionieren? „Jeder weiß, wie der andere tickt. Jeder vertraut dem Assistenten“, sagt Stegemann. So kann es etwa auch zu einer Situation kommen, in der Stegemann auf dem Rasen eine Tätlichkeit in seinem Rücken gar nicht gesehen hat, vom Assistenten aber darauf aufmerksam gemacht wird, sofort Rot zeigen zu müssen. „Dann würde ich fragen, was passiert ist, müsste mir das aber nicht mehr anschauen, weil wir uns untereinander total vertrauen“, erzählt der Schiedsrichter.
Als überprüfbar gelten vier Bereiche: Tore (Foul oder Abseits vorher?), Rote Karten (berechtigt oder nicht?), Elfmeter (richtig oder falsch?) sowie Verwarnungen und Platzverweise (Spielerverwechslungen). Die Entscheidung trifft überwiegend der Videoassistent. Bei kniffligen Situationen hält er den Schiedsrichter dazu an, in der Video Area am Spielfeldrand nochmals zu kontrollieren. „Das wird aber sehr selten vorkommen“, prophezeit Stegemann.
Ein schneller Ablauf sei gewollt, sagt Schwenken, die Nachspielzeit solle nicht verlängert werden. Er glaubt: „Das Spiel kann sogar beschleunigt werden, wenn wir uns an viele Endlos-Diskussionen der Vergangenheit erinnern.“ Die Entscheidungen sollen in einem Zeitfenster zwischen 10 und 40 Sekunden getroffen werden. Dass der Videoassistent Fehler nicht ausschließen kann, ist klar. „der Fußball wird gerechter“, sagt Schwenken. „Eine hundertprozentige Gerechtigkeit aber wird es nicht geben.“