dpa-Interview BVB-Sportdirektor Zorc: „Mehr Ruhe tut dem Verein gut“
Marbella (dpa) - Bei Borussia Dortmund scheint der Frust aus der Hinrunde mittlerweile verflogen. Das ist nach Meinung von Michael Zorc vor allem ein Verdienst von Trainer Peter Stöger.
„Er hat in relativ kurzer Zeit einen Stimmungsumschwung bewirkt - im Umfeld, bei den Medien. Auch innerbetrieblich ist die Stimmung deutlich aufgehellt“, sagte der Sportdirektor. Im Interview der Deutschen Presse-Agentur bezieht der 55-Jährige darüber hinaus Stellung zu den jüngsten Transfergerüchten über Torjäger Pierre-Emerick Aubameyang und die Vereinspläne, den Vertrag mit Marco Reus zu verlängern.
Frage: Herr Zorc, wie haben Sie Silvester gefeiert?
Antwort: Zusammen mit meiner Familie. Warum?
Frage: Waren Sie um 24 Uhr nicht erleichtert, dass 2017 endlich vorbei war? Schließlich verliefen die vergangenen zwölf Monate beim BVB höchst turbulent.
Antwort: Um ehrlich zu sein, ja, ich war froh, als 2018 begann. Es gab wirklich schon weniger anstrengende Jahre als 2017. Was alles passiert ist: Es gab den Bombenanschlag auf das Team, wir haben uns von zwei Trainern getrennt, es gab den skurrilen Verlauf der Hinrunde. Deshalb lautet unser größter Wunsch für 2018: Etwas mehr Ruhe tut dem Verein gut.
Frage: Traditionell findet am Ende eines jeden Jahres beim BVB eine Bestandsaufnahme statt, an der Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke, der Trainer und Sie teilnehmen. Darf man wissen, was dabei herausgekommen ist?
Antwort: Wir haben uns in der Tat nach der Rückkehr vom Pokalspiel in München zusammengesetzt. Es ging in erster Linie darum, die Einschätzung von Peter Stöger zu bekommen, der noch sehr frisch im Amt war und direkt in eine Englische Woche starten musste.
Frage: Hat diese Zusammenkunft dazu beigetragen, das Rätsel zu lösen, warum die Mannschaft nach einem Rekordstart regelrecht eingebrochen ist?
Antwort: Ich finde es schwierig, dass schlüssig zu erklären. Wir bewegen uns mit Erklärungsansätzen im spekulativen Bereich. Mit ein wenig zeitlichem Abstand betrachtet, ist an irgendeinem Punkt bei Teilen der Mannschaft das Vertrauen an die Herangehensweise verloren gegangen. Trotzdem ist es nicht vollends zu begründen, dass wir mit dieser Mannschaft zehn, elf Spiele hintereinander nicht gewinnen konnten.
Frage: War die Verpflichtung von Peter Bosz im Nachhinein ein Fehler?
Antwort: Wenn man den Trainer vor Beendigung einer Halbserie entlassen muss, kann man sich nicht hinstellen und sagen, dass wir alles richtig gemacht haben.
Frage: Jahrelang wurde der BVB für seine Transferpolitik gelobt. In dieser Saison scheint die Bilanz bisher nicht so überzeugend. Und schon war zu lesen, das Gesicht der BVB-Krise sei Michael Zorc. Wie gehen Sie mit solcher Kritik um?
Antwort: Ach, ich bin schon lange in der Bundesliga tätig - erst als Spieler, dann als Sportdirektor. Da lernst du - wahrscheinlich häufiger als in anderen Berufen - dich permanent zu hinterfragen. Nur wehre ich mich dagegen, nach nur sechs Monaten ein Fazit über die Neuzugänge zu ziehen. Wir verpflichten sie ja nicht für sechs Monate, sondern für einen längeren Zeitraum - gerade die jungen Spieler. Da ist die Entwicklung längst nicht abgeschlossen. Es sei an Beispiele wie Ilkay Gündogan oder Robert Lewandowski erinnert.
Frage: Schauen wir in die Zukunft. Welche Erwartungen haben Sie an Peter Stöger?
Antwort: Dass er den Weg, den wir nach seinem Start bei uns eingeschlagen haben, konsequent weiterführt. Er hat in relativ kurzer Zeit einen Stimmungsumschwung bewirkt - im Umfeld, bei den Medien. Auch innerbetrieblich ist die Stimmung deutlich aufgehellt. Natürlich auch durch die beiden Bundesliga-Siege am Ende der Hinrunde.
Frage: Was verwundert, ist die nur kurze Vertragslaufzeit für Stöger bis Sommer 2018. Was macht der BVB eigentlich, wenn Stöger die Rückrunde glänzend meistert? Haben Sie dann nicht eventuell das Problem, sich von einem erfolgreichen Coach trennen zu müssen?
Antwort: Ich denke, dass diese Lösung für uns die ideale Konstellation darstellt. Weil sie uns alle Handlungsoptionen offen hält. Für Peter Stöger ist es eine sehr gute Gelegenheit zu zeigen, dass er mit einem Club von der Kategorie Borussia Dortmund erfolgreich sein kann. Er hat den Vorteil, aufgrund dieser kurzen Vertragslaufzeit wenige Kompromisse machen zu müssen. Uns lässt es die Option zu entscheiden, was für den BVB in den nächsten Jahren das Beste sein wird.
Frage: Schließen Sie aus, dass Stöger im Sommer weitermacht?
Antwort: Im Fußball schließe ich grundsätzlich relativ wenig aus.
Frage: Wie hat der Coach den Kader bewertet? Muss bis Ende Januar noch nachgebessert werden?
Antwort: Das war auch das Ergebnis der gemeinsamen Sitzung Ende Dezember: Wir erachten den Kader als stark genug, um unser primäres Saisonziel - die direkte Qualifikation für die Champions League - zu erreichen. Das wäre im Moment der Fall. Wir sind Dritter und nur zwei Punkte hinter dem Tabellenzweiten.
Frage: Angeblich ist der BVB an einer Verpflichtung von Verteidiger Manuel Akanji aus Basel und vom ehemaligen Borussen Henrich Mchitarjan interessiert. Was ist dran an diesen Spekulationen?
Antwort: In heutigen Zeiten wird von einigen Medien alle sechs Stunden eine neue Sau durchs Dorf getrieben. Akanji, Mchitarjan, Aubameyang - es ist immer etwas Neues.
Frage: Aber könnten Akanji und Mchitarjan nicht weiterhelfen?
Antwort: Natürlich überprüfen wir jeden Mannschaftsteil und ob es Möglichkeiten gibt, uns zu verbessern. Gleichzeitig ist der Kader aber immer noch eher zu groß als zu klein. Darüber hinaus müssen wir feststellen, dass mit dem Ausscheiden aus der Champions League und dem DFB-Pokal auch Einnahmeverluste einhergehen.
Frage: Ein beliebtes Medienthema bleibt Aubameyang. Wie kommentieren Sie die jüngsten Spekulationen über seinen Wechsel im nächsten Sommer nach China.
Antwort: Wenn es so wäre, würden wir das entsprechend vermelden müssen. Dass das nicht passiert ist, sagt doch alles. Spekulationen um Auba sind für uns nichts Neues. Das nervt uns auch nicht mehr wirklich. In den letzten Monaten ist er doch angeblich schon zu fünf Clubs transferiert worden.
Frage: Mit den lange verletzten Marco Reus und Lukasz Piszczek kommen quasi zwei Neuzugänge hinzu. Welche Bedeutung haben die beiden Profis für den BVB?
Antwort: Jeder ist auf seine Art extrem wichtig. Lukasz als stabilisierender Faktor und auch mit seinem sehr großen Standing innerhalb des Teams. Marco kann den Unterschied machen. Er ist ein Spieler, der sehr oft das 1:0 schießt. Für ihn wünsche ich mir ganz besonders, dass er gesund bleibt. Damit er mit uns eine erfolgreiche Rückrunde spielt und bei der WM in Russland endlich mal sein großes Turnier spielen kann.
Frage: Dem Vernehmen nach gibt es Pläne, den bis 2019 datierten Vertrag mit Reus vorzeitig zu verlängern ...
Antwort: Es wäre fahrlässig, diesen Wunsch nicht zu haben, wenn man einen solchen Spieler in seinen Reihen hat. Vor allem, wenn er dann auch noch gebürtiger Dortmunder ist und eine hohe Identifikation mit dem Club hat. Aber da ist bei weitem noch nichts spruchreif.
ZUR PERSON: Michael Zorc ist Sportdirektor des Fußball-Bundesligisten Borussia Dortmund. Vor seinem Amtsantritt im Jahr 1998 war der heute 55 Jahre alte gebürtige Dortmunder Profi beim Revierclub. Mit 463 Bundesligapartien ist er BVB-Rekordspieler. In der Nationalmannschaft kam er zu sieben Einsätzen.