Interview mit Christoph Kramer Christoph Kramer über Leverkusen, Gladbach und die Europameisterschaft

Weltmeister Christoph Kramer spricht im Interview über den derzeitigen Druck in Leverkusen, Unterschiede zu seiner Rolle in Gladbach und bescheidene EM-Ambitionen.

Christoph Kramer gegen seinen Ex-Verein Borussia Mönchengladbach.

Foto: Dieter Wiechmann

Leverkusen. Herr Kramer, Bayer Leverkusen ist nur Achter in der Liga, hat schon neun Mal verloren, am Donnerstag geht es in der Europa League zum FC Villarreal. Die sportliche Situation bei Bayer Leverkusen ist im Moment...

Christoph Kramer: ...ruppig.

So fühlt es sich an?

Kramer: Ja, so empfindet man es auch als Spieler. Es ist ja nicht so angesagt zu sagen, dass die Verletzten ein Grund sind. Sind sie aber. Ich merke es an mir, wenn man alle drei Tage 90 und eben nie 70 Minuten spielt, wenn man nie rotieren kann, dann schwinden die Kräfte. Umso höher ist es der Mannschaft anzurechnen, dass wir da nach dem 0:3 in Augsburg nochmal zurückgekommen sind auf 3:3. Das hat mich echt gefreut. Es holpert momentan bei uns, darüber müssen wir nicht reden. Aber jetzt müssen wir da durch, irgendwie. Und dürfen nicht schon die Ziele verfehlt haben, bevor die Verletzten wieder zurück sind.

Was ist in Augsburg nach dem 0:3 passiert?

Kramer: Wir haben sehr viele junge Spieler. An ihnen geht die Gesamtsituation nicht spurlos vorbei. Wenn es dann 0:3 steht, ist irgendwie alles egal. Dann spielt man auch so — und das ist oft gut. Für manche war es eine Art Befreiung. So gut wie danach habe ich einige noch nie gesehen.

Der Druck in Leverkusen ist derzeit groß, viel Kritik entlädt sich derzeit auf Trainer Roger Schmidt. Stecken Sie das weg?

Kramer: Ich hatte auch in Bochum schon in zwei Jahren vier Trainer und vier Sportdirektoren, da ging es auch heiß her. Im Moment scheinen sich viele auf Trainer, Mannschaft und unseren Verein eingeschossen zu haben. Ich kenne die Gründe dafür nicht. Aber ich finde es teilweise überzogen. Ich habe so eine Erfahrung auch selbst schon erlebt: Da kann man manchmal nicht viel machen.

Sie meinen die seinerzeit heftige Kritik an Ihrer Aussage, als sie den Profifußball mit Menschenhandel verglichen haben.

Kramer: Ja, da hatten sich alle plötzlich auf mich eingeschossen. Da stehst du ratlos und sagst: Hey Leute, ich bin eigentlich keine böse Person. Ihr habt mich da auch falsch verstanden. Die Presse ist hier im Moment sehr negativ. Vielleicht ist es aber eine Chance für uns, daran zu wachsen und noch enger zusammenzurücken.

Auch eine gute Gelegenheit für den Weltmeister Kramer noch mehr Verantwortung zu übernehmen?

Kramer: Ich finde es schwierig, im ersten Jahr gleich der lauteste in der Mannschaft zu sein. Ich bin da eher zurückhaltend, das ist mein Naturell. Trotzdem probiere ich, auf dem Platz zu helfen, Kommandos zu geben. Im Moment sind wir aber in einer Situation, in der wir nicht jeden Gegner an die Wand spielen können.

Täuscht der Eindruck, dass Sie Mönchengladbach eine dominantere Rolle als jetzt in Leverkusen hatten?

Kramer: In Gladbach hatten Granit Xhaka und ich klar die Oberhand, konnten das Spiel lenken, konnten uns die Gegner zurechtlegen. Wir hatten aus der Zentrale heraus das Kommando, haben das Spiel entwickelt. Das ist hier systembedingt so nicht gegeben. Ich rede auch hier unglaublich viel auf dem Platz. Aber es sieht vielleicht von außen nicht so stark nach Führung aus, weil man über unseren Spielstil nicht diese brutale Präsenz zeigen kann.

Sind Sie mit Ihrer Saison zufrieden?

Kramer: Es war befriedigend, aber nicht gut. Ich hatte richtig gute Spiele und richtig schlechte Spiele. Mein Anspruch ist so, dass ich bei 20 Spielen vielleicht zwei schlechtere drin habe - und der Rest ist dann zumindest mal in Ordnung. In der Hinrunde habe ich meinen eigenen Anspruch nicht erfüllt. Jetzt hat es sich gebessert, aber zufrieden bin ich sicher noch nicht mit mir.

Ihr Trainer sagte, für den kraftraubenden Leverkusener Spielstil brauche man positive Ergebnisse, um die Spieler zu überzeugen. Sind Sie vom Stil noch überzeugt?

Kramer: Für jeden Spielstil braucht man Ergebnisse, das gilt auch außerhalb des Fußballs, Erfolgserlebnisse im Leben bringen Bestätigung. Wenn Ergebnisse ausbleiben, fängt man logischerweise auch mal an zu zweifeln. Wir haben wirklich oft gezeigt, dass man mit unserem Stil Erfolg haben kann. Davon bin ich deswegen auch überzeugt. Nur: Wir bekommen es momentan nicht konstant auf den Platz.

Es ist anstrengend, oder?

Kramer: Ja, klar. Gerade in den englischen Wochen. Letzte Saison hast du mit Gladbach gegen Hannover 80 Prozent den Ball gehabt und irgendwann zwei Tore geschossen. So ist es hier nicht. Das hat Vor- und Nachteile. Wir müssen uns auf jedes Spiel zu hundert Prozent fokussieren und über die Einstellung kommen und im Stressmodus sein. Dann sind wir eine gute Mannschaft. Und wenn wir das nicht tun, dann bekommen wir hin und wieder Probleme.

Sie als 25 Jahre alter Spieler haben jetzt die Erfahrung zweier unterschiedlicher Spielstile.

Kramer: Ja, ich wollte ja auch einen neuen Ansatz. Ich habe zwei Jahre in Gladbach wirklich gut gespielt. Es ist gut, dann in jungen Jahren nochmal etwas ganz Neues kennenzulernen. Das kann ich für mich kombinieren.

Was muss am Ende der Saison unter dem Strich stehen?

Kramer: Wir müssen schon gucken, dass wir in die internationalen Ränge kommen. Das ist mit unserem Kader hundertprozentig Pflicht, auch wenn das schwer genug wird. Und dann hoffe ich, dass wir in der Europa League mit ein bisschen Spiel- und Losglück vielleicht eine Überraschung schaffen. Warum auch nicht? Ich bin überzeugt, dass wir weit kommen können.

Gegen den FC Villarreal gehen Sie nicht mehr zwingend als Favorit ins Duell.

Kramer: Villarreal ist eine gute Mannschaft, ich habe letztes Jahr mit Gladbach gegen sie gespielt - wirklich unangenehm. Eigentlich ein bescheidenes Los: Kein großer Name, aber unangenehm zu spielen. Das werden zwei heiße Spiele. Die spielen so ähnlich wie Gladbach im vergangenen Jahr. Sehr ballsicher, sie pressen nicht so wahnsinnig, stehen eher ein bisschen tiefer..

Wieviel Druck machen Sie sich auch im Hinblick auf die EM im Sommer?

Kramer: Da nehme ich alles, wie es kommt. Nach der WM 2014 war ich immer dabei, der Trainer weiß glaube ich auch, was er an mir hat. Ich weiß um meine Rolle, aber ich habe eben auch nicht wenig Konkurrenz auf meiner Position. Ich sehe das realistisch, bin sehr stolz und freue mich immer, wenn ich dabei bin — und wenn ich auch mal eine Minute spielen darf.

Das klingt bescheiden.

Kramer: Was heißt bescheiden? Es ist mein Wunsch, dabei zu sein. Klar ist das für mich aber nicht. Ich denke, da sind andere sicherer dabei. Schauen wir mal. Wir reden über eine EM-Endrunde mit dem Weltmeister Deutschland. Wissen Sie: Ich bin kein Nordire. Dann würde ich sagen: ich bin dabei. Aber als deutscher Spieler ist das nicht so einfach. Ich weiß mich schon selbst einzuschätzen. Und für mich ist es nicht selbstverständlich, dass ich zu einem großen Turnier mitfahre. Und ich finde es auch gut, dass es für mich nicht selbstverständlich ist.

Ihr Vertrag läuft bis 2019. Kann das Ausland auch früher zum Thema werden?

Kramer: Ich habe immer gesagt, dass das Ausland für mich interessant ist. Aber damit beschäftige ich mich jetzt nicht, weil es sich auch mit nichts zu beschäftigen gibt.

Und der Rückzugsort ist noch immer die Heimat Solingen?

Kramer: Ich bin jetzt gerade wieder Sportler des Jahres in Solingen geworden, den Titel habe ich auch nach 2014 nochmal mitgenommen (lacht). Die Bindung nach Solingen ist schon noch groß. Meine Eltern wohnen dort, ein Großteil meiner Schulfreunde. Ich bin noch oft da.