Vorgeschichte der Trennung Chronik einer Entfremdung: Coach Tuchel versus Boss Watzke

Dortmund. Erfolgreich und doch zerstritten. Die Spannungen zwischen der Dortmunder Vereinsführung und Trainer Thomas Tuchel konnten auch durch den Pokalsieg gegen Eintracht Frankfurt nicht gekittet werden.

Echte Liebe war es zwischen Aki Watzke und Thomas Tuchel wohl nie.

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Doch wie kam es zum Zerwürfnis?

In letzter Minute platzt die Verpflichtung des Spaniers Oliver Torres. Deshalb kommt es zur Auseinandersetzung zwischen BVB-Chefscout Sven Mislintat und Tuchel. Seither gehen sich die beiden Streithähne aus dem Weg. Mislintat genießt in der Szene einen exzellenten Ruf, gilt als enger Vertrauter von BVB-Sportdirektor Michael Zorc und war maßgeblich an der erfolgreichen Transferpolitik des Revierclubs in den vergangenen Jahren beteiligt. Bezeichnend: Trotz des Streits mit Tuchel wird der von vielen Clubs umworbene Mislintat zum „Leiter Profifußball“ befördert.

Nur wenige Minuten nach der Niederlage im Pokalfinale gegen den FC Bayern im Elfmeterschießen sorgt Tuchel auch mannschaftsintern für Diskussionen. Statt seine gefrusteten Profis aufzurichten, tritt er gegen den scheidenden Kapitän und künftigen Münchner Mats Hummels nach. „Er kann es besser“, klagte der Coach. Dass er am Abend zuvor dem nicht für den Kader nominierten Neven Subotic vom Aufenthalt im Teamhotel abrät, trägt ebenfalls nicht zur Stimmungsaufhellung bei.

Sein Versprechen, den Weggang gleich aller drei Stars Ilkay Gündogan Henrich Mchitarjan und Hummels zu verhindern, kann BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke nicht halten. Vor allem der Verlust von Mchitarjan zu Manchester United verärgert Tuchel. Den nötig gewordenen großen Umbruch im Kader bezeichnet der Trainer als „riskant“, Watzke bezeichnet ihn dagegen als „ambitioniert“.

Tuchel deutet an, erst spät in den immerhin zehn Millionen Euro teuren Transfer des schwedischen Talents Alexander Isak eingeweiht worden zu sein. Das sorgt für öffentliche Spekulationen über fehlende vereinsinterne Absprachen. Der Coach verkneift sich einen Tag später jedoch offene Kritik - möglicherweise nach einer Ansage der BVB-Spitze: „Es gibt Transfers, in die ich als Trainer komplett involviert bin. Und es gibt Transfers wie Isak, bei dem das Scouting und Michael Zorc die große Vorarbeit leisten.“

Tuchel erklärt die Partie in Darmstadt zum Mentalitätstest - und wird bitter enttäuscht. Seine Mannschaft sei „gnadenlos durchgefallen“ poltert er nach dem unerwarteten 1:2 beim Tabellenletzten. Er bringt seine Bedenken zum Ausdruck, ob das Saisonziel (direkte Champions-League-Qualifikation) nicht doch zu ambitioniert ist: „Vielleicht muss einfach mal da ein Umdenken stattfinden.“ Das sorgt bei der Vereinsführung für großes Befremden.

Nach dem Sprengstoffattentat auf den Teambus wird das Champions-League-Spiel gegen Monaco abgesagt. Noch am selben Abend wird von beiden Vereinen und der UEFA in aller Eile und ohne detaillierte Informationen entschieden, die Partie bereits am nächsten Tag nachzuholen. Tuchel und einige BVB-Profis äußern scharfe Kritik an der Neuansetzung. Im Gegensatz zum Trainer gibt der Verein jedoch an, dass Tuchel in den Entscheidungsprozess eingebunden war.

Am Tage des wichtigen Bundesligaspiels gegen Hoffenheim erscheint in der „WAZ“ ein Interview mit Watzke, in dem er einen Dissens mit Tuchel über die Neuansetzung der Partie gegen Monaco bestätigt. Die Medienresonanz ist gewaltig. Einige Zeitungen werten das als Versuch der Vereinsführung, eine Trennung von Tuchel vorzubereiten. Solche Spekulationen bezeichnet Zorc in einem Interview der Deutschen Presse-Agentur als „Unsinn“ und verweist auf ein angeblich ergebnisoffenes Gespräch mit dem Fußball-Lehrer nach dem Pokalfinale.

Selbst nach dem Erfolg gegen Frankfurt gibt es Misstöne. Die Ausbootung von Nuri Sahin, der in Berlin trotz der Verletzung seines Mittelfeldkollegen Julian Weigl nicht mal im Kader stand, veranlasste Kapitän Marcel Schmelzer zu harscher Kritik an Tuchel: „Ich war geschockt. Nuri ist ein toller Fußballer, ein toller Mensch. Wir stehen hinter ihm.“ Ähnlich äußerte sich der in Dortmund sehr einflussreiche Marco Reus: „Ich habe mich darüber gewundert. Nuri war eigentlich gut drauf.“

Drei Tage nach dem Pokalsieg verkünden Verein und Trainer das, was alle längst erwartet haben: die Trennung. Die Entscheidung sei nach einem Gespräch am Dienstag gefallen, teilte der BVB mit. Zuvor hatte bereits Tuchel auf seinem kurz zuvor eröffneten Twitter-Account das Ende der Zusammenarbeit mitgeteilt. „Ich bin dankbar für zwei schöne, ereignisreiche und aufregende Jahre. Schade, dass es nicht weitergeht“, schrieb Tuchel.

Der BVB lege großen Wert auf die Feststellung, „dass es sich bei der Ursache der Trennung keinesfalls um eine Meinungsverschiedenheit zwischen zwei Personen handelt“, heißt es in der Dortmunder Mitteilung. „Das Wohl des Vereins Borussia Dortmund, den viel mehr als nur der sportliche Erfolg ausmacht, wird grundsätzlich immer wichtiger sein als Einzelpersonen und mögliche Differenzen zwischen diesen.“ dpa