Der Freiburger Freigeist Streich im WZ-Interview
SC-Trainer Christian Streich über den eigenen Wert, verschobene Werte im Fußball und seinen täglichen Weg mit dem Fahrrad.
Freiburg. In der Wahrnehmung der Fußball-Laien sind Sie vor allem der schrullige Trainer, der sich vor Spielen auf dem Platz in Jeans aufwärmt. Ärgert Sie das?
Christian Streich: Ich habe erkannt, dass ich zu einer Projektionsfläche geworden bin. Manchmal stehe ich neben mir und schaue mich so an. Wie die sechs Millionen vor der Sportschau. So ähnlich. Und wissen Sie was: Wenn ich in vier Wochen nicht mehr Trainer bin, dann fragen die Leute in acht Wochen: Wie hieß dieser Streich noch? Joachim Streich?
Das war ein sehr erfolgreicher DDR-Nationalspieler.
Streich: Genau. Und in vier Monaten heißt es: Da gab es mal so einen komischen Trainer in Freiburg, der ist immer mit dem Fahrrad zum Training gefahren. Man sollte sich nicht so wichtig nehmen. Manchmal hilft es, wenn man sich sagt: Ich bin nur einer von sieben Milliarden Menschen.
Für die „Sport Bild“ waren Sie „Deutschlands verrücktester Trainer“, weil Sie mit dem Fahrrad zum Training fahren. Dabei wohnen Sie nur 300 Meter neben dem Trainingsgelände.
Streich: Eben. 300 Meter. Wirklich verrückt wäre es, die paar Meter mit dem Auto zu fahren.
Stimmt es, dass Sie im Dezember mit dem festen Vorsatz auf die Geschäftsstelle gekommen sind, den angebotenen Cheftrainerposten nicht anzunehmen?
Streich: Selbstverständlich habe ich zunächst abgesagt.
Und dann haben Sie gehört, dass Murat Yakin oder Falko Götz Trainer werden könnten?
Streich: Nein, mit anderen Namen hatte das nichts zu tun. Es war so: Ich hatte noch ein paar Minuten Zeit, mich zu entscheiden. Da habe ich mir gedacht: Schluss, ich mach es nicht.
Weil Sie auch befürchtet haben, dass Sie so, wie Sie sind, als Bundesligatrainer nicht mehr bleiben können?
Streich: Das auch. Die ganze Maschinerie, die dann angeworfen wird. Die Leute, die im Umfeld da dran hängen — ich will hier jetzt keine Berufssparte nennen.
Ihre besonderen Freunde: die Berater — und wir Journalisten.
Streich: So schlimm war es gar nicht. Für mich steht aber auch fest: Wenn es nicht mehr geht, dann lass ich es wieder sein. Die Gefahr ist natürlich, dass du vorm Spiegel stehst und denkst, alles ist in Ordnung. Und dann kommen zwei, drei Freunde daher und sagen dir: Nichts ist in Ordnung. Ich hoffe, dass ich dann so stark bin und sagen kann: Schnell raus hier, danke und tschüss.
Ihre Mannschaft wirkte in den letzten Spielen sehr gefestigt. Dabei fehlt dem Team der Kopf — zumal Cissé und Butscher den Verein verließen. Ist die Zeit der Leitwölfe vorbei?
Streich: Es gibt in jeder Mannschaft Hierarchien, aber es kommt darauf an, wie die sich bilden. Bei uns sollten diese sich wegen der Persönlichkeit bilden. Wenn du viele Leute mit einem guten Charakter hast, müssen die Hierarchien nicht so ausgeprägt sein.
Was verstehen Sie unter „Persönlichkeit“?
Streich: Die ist jedenfalls keine Frage des Alters. Ich kenne viele Leute, die mit 17 Jahren von der Persönlichkeit her weiter sind als andere mit 35. Ein Mensch mit Persönlichkeit ist einer, der seine Stärken und Schwächen erkennt und versucht, seine Schwächen nicht zu überdecken, sondern damit zu arbeiten. Jemand, der andere unterstützt und zwar nicht in erster Linie, um selber unterstützt zu werden, sondern weil das die Persönlichkeit verfeinert.
Woran merkt denn der Stadionbesucher, ob eine Mannschaft intakt ist?
Streich: Der überwiegende Teil der Leute im Stadion hat dafür ein gutes Gespür. Nach dem Spiel gegen Augsburg hat mich ein Zuschauer angesprochen. Ihm hat gefallen, wie sich die Ergänzungsspieler warmgelaufen haben. So ein positives Feedback kann ich der Mannschaft geben.
Was sagt das Aufwärmen über die Persönlichkeit aus?
Streich: Es ist für keinen Spieler leicht, auf der Bank zu sein — und trotzdem wollten die Spieler der ersten Mannschaft helfen. Die Älteren müssen sich um die Jüngeren kümmern und die müssen den Älteren Respekt entgegenbringen. Respekt, naja.
Sie mögen das Wort nicht?
Streich: Es ist so abgenutzt. Ich kenne so viele Spieler, die von Respekt reden, die diesen aber anderen gegenüber als letzte entgegenbringen. Es geht um Anerkennung. Schön ist, wenn ein Fußballer registriert, dass er an einem handgefertigten Tisch sitzt, den ein Schreiner gebaut hat. Und dass der Schreiner mindestens so gut schreinern kann wie er selbst kickt.
Sie sind seit acht Spielen ungeschlagen, am Sonntag könnten sie in Hannover die Rettung des SC Freiburg feiern.
Streich: Die Zielsetzung ist immer gleich. Gut spielen und wenn alles zusammen kommt, können wir gewinnen.