Bayern „im Soll“ Die Hochzeit des „Spezialisten“ Ancelotti beginnt
München (dpa) - Noch ein paar Tage kann Carlo Ancelotti ausspannen. Aber schon am dritten Tag des neuen Jahres beginnt mit dem Trainingslager in Katar beim FC Bayern wieder der Arbeitsalltag, der idealerweise exakt fünf Monate später in Cardiff glorreich enden soll.
Im Millennium Stadium findet am 3. Juni 2017 das Finale der Champions League statt. Und Ancelotti ist der Königsklassen-Spezialist unter den aktiven Trainern im europäischen Vereinsfußball.
Die Probezeit in München ist für den Italiener vorbei. Und der 57-Jährige sieht sich nach dem ersten Halbjahr sportlich „im Soll“. Alle Titelchancen sind intakt. Die Bayern führen die Bundesliga zum Jahreswechsel an, im DFB-Pokal und in der Champions League stehen sie im Achtelfinale. „Wir können uns noch verbessern - und wir werden uns verbessern“, äußerte Ancelotti bei seinem Halbjahresresümee.
Die starke Schlussvorstellung gegen RB Leipzig hat viele im Verein beruhigt. Das 3:0 gegen den furiosen Aufsteiger offenbarte, dass im Münchner Starensemble auch nach vier Meistertiteln am Stück Antrieb und Willensstärke stimmen, wenn es in besonders wichtige Spiele geht. Der Abend ließ zugleich erahnen, dass der Ancelotti-Stil auch in München seine Kraft entfalten könnte. Taktik und Aufstellung gingen optimal auf. Derartige Siege erhöhen das Vertrauen in einen Chef.
Ancelotti ist beim FC Bayern als Gegenentwurf seines Vorgängers Pep Guardiola angetreten. Er führt die Mannschaft anders, er coacht sie anders. Er ist kein Kontrollfreak, er akzeptiert Schwächephasen. Das Spielsystem ist für ihn kein Heiligtum. So wechselte er kurzerhand vom 4-3-3 zum 4-2-3-1, in dem sich die Mannschaft wohler fühlt. Für Ancelotti ist das Zwischenmenschliche und ein gutes Verhältnis zu den Spielern wichtig. Trotzdem hat er als Chef stets das letzte Wort.
Er muss(te) Überzeugungsarbeit leisten bei den Spielern des FC Bayern, die in den vergangenen Jahren so viel gewonnen haben und unter Guardiola fußballerisch viel dazulernen konnten. „Hier brauche ich ein wenig Zeit für Veränderungen“, gestand Ancelotti in der „Süddeutschen Zeitung“. Er selbst hat freilich auf seinen Stationen bei Topclubs in Italien, England, Frankreich und Spanien ebenfalls viele Erfolge gefeiert und einen großen Erfahrungsschatz erworben.
Ancelotti verfolgt in seinem Münchner Premierenjahr eine klare Strategie. Für ihn besteht die Trainerkunst darin, ein Team in der entscheidenden Saisonphase im Frühjahr körperlich und mental frisch zur Verfügung zu haben. Darauf richtet er sein Handeln aus. „Wären wir bereits in der Hinrunde auf Hochtouren gelaufen, so hätten wir das im Frühjahr bereut“, sagte Ancelotti der „tz“.
Er hat in der ersten Saisonhälfte sehr viel rotiert. Selbst Kapitän Philipp Lahm erhielt viel häufiger Pausen als früher. Als die Bayern eine ihrer zwei kürzeren Schwächephasen durchliefen, erinnerte Ancelotti an seine Erfahrungen bei Real Madrid. Im Herbst 2014 habe er mit den Königlichen mal 22 Spiele am Stück gewonnen - „aber am Ende der Saison keinen Titel“. Als Konsequenz verlor er seinen Job.
Ancelotti will natürlich die Bundesliga gewinnen, aber seine Passion gilt der Champions League. Er weiß ja auch, dass Guardiola in München zwar in jedem Jahr mit dem FC Bayern Meister geworden ist, aber eben auch dreimal im Halbfinale der Champions League scheiterte; übrigens 2014 im direkten Duell mit ihm als damaligem Coach von Real Madrid.
Karl-Heinz Rummenigge hob auf der Jahreshauptversammlung des deutschen Rekordchampions die besonderen Referenzen von Ancelotti hervor. „Carlo ist der einzige aktuelle Trainer, der die Champions League dreimal gewonnen hat“, schwärmte der Bayern-Chef. Rummenigge mochte daraus zwar keine Titelerwartung ableiten. Aber die Sehnsucht nach einem weiteren Triumph in Europa ist im Verein zu spüren.
Die anstehenden K.o.-Runden - beginnend Mitte Februar gegen den FC Arsenal - werden das Urteil über Ancelottis Wirken beim FC Bayern prägen. „Wir haben einen Spezialisten auf der Bank sitzen, der für diese Fälle bestens geeignet ist“, äußerte Rummenigge optimistisch.