Gerd Müller wird 70 - Erkrankung stimmt traurig
München (dpa) - Der Strafraum war sein Reich. Wenn Gerd Müller in Tornähe an den Ball kam, dann hat es in der Regel Bumm gemacht. Kein deutscher Stürmer vor und nach ihm erreichte seine Klasse, keiner erzielte so viele Tore.
Und Müller erledigte seinen Job in den Fußballstadien auf eine unnachahmliche Weise: Er traf blitzschnell aus der Drehung, im Fallen und im Sitzen, mit links, rechts oder mit dem Kopf. Er war der König im Sechzehnmeterraum!
„Gerd Müller war wahrscheinlich der allergrößte Stürmer, den wir in Deutschland hatten“, urteilte Bundestrainer Joachim Löw anlässlich des 70. Geburtstages des Bombers der Nation. Der Ehrentag des Weltmeisters (1974), Europameisters (1972) und Rekordschützen der Bundesliga (365 Tore in 427 Partien) muss an diesem Dienstag aber ohne große Feierlichkeiten begangen werden.
Trauriger Grund: Gerd Müller leidet an Alzheimer. Bei der Erkrankung geht das Gedächtnis verloren, das Wesen des Betroffenen verändert sich. Seit Anfang Februar wird Müller mit großer Unterstützung seiner Familie professionell betreut. Der FC Bayern hatte Müllers Erkrankung vor wenigen Wochen publik gemacht, auch zum Schutz von Müllers Frau Uschi vor unzähligen Medienanfragen zum runden Geburtstag.
Die für die breite Öffentlichkeit überraschende Nachricht hat über die Fußballszene hinaus viele Menschen berührt. Fußball-Idol Uwe Seeler sprach von Traurigkeit, der langjährige Bayern-Macher Uli Hoeneß bezeichnete das Schicksal des Weggefährten als furchtbar.
Hoeneß, der in den großen Bayern-Zeiten in den 1970er-Jahren an der Seite Müllers stürmte, war einer derjenigen, die auch in der größten Lebenskrise des Bombers zur Stelle waren und entschlossen handelten. Denn das Leben abseits des Spielfeldes hatte Müller nicht derart beherrscht wie den Ball und die Vorstopper im Strafraum.
Der Sieg über seine Alkoholkrankheit vor rund 30 Jahren war der vermutlich wichtigste im Leben des gelernten Webers. „Nach vier Wochen bin ich aus der Kur gekommen. Es in so kurzer Zeit zu schaffen, das war schon eine Leistung“, erzählte Gerd Müller im Herbst 2007 bei einem Treffen in München mit Stolz. Damals wirkte er als Assistenztrainer der Amateure an der Seite von Hermann Gerland.
Weltmeister wie Philipp Lahm, Bastian Schweinsteiger, Thomas Müller oder Toni Kroos profitierten auch von seinem Erfahrungsschatz. Es war eine Aufgabe, die den bodenständigen Müller ausfüllte, glücklich und zufrieden machte. „Der Verein ist alles für mich“, sagte er häufig.
Trotz Franz Beckenbauer, trotz Uli Hoeneß - den steilen Aufstieg zur Nummer 1 im deutschen Vereinsfußball hatte der FC Bayern besonders Müllers Toren zu verdanken. „Was der FC Bayern heute darstellt, mit diesem Palast an der Säbener Straße - ohne Gerd Müller wären die Leute da immer noch in dieser Holzhütte von damals“, beschrieb Beckenbauer Müllers Bedeutung. „Der FC Bayern verneigt sich vor diesem Mann“, äußerte Karl-Heinz Rummenigge zum Geburtstag.
Der Vorstandsvorsitzende des deutschen Rekordmeisters wählte zur Würdigung des „besten Neuners“ im Fußball einen Vergleich mit der Box-Legende Muhammad Ali: „Gerd war und ist der Größte aller Zeiten, der Ali der Strafräume.“ Einen Torjäger wie ihn werde es nie mehr geben, prophezeit der frühere Weltklassestürmer Rummenigge.
Den Ausnahmestatus hat auch Weltmeister Miroslav Klose stets betont. Als er Müller kurz vor der WM 2014 in Brasilien nach 40 Jahren als Deutschlands Rekordschützen ablöste, betonte Klose: „Gerd Müller darf man mit keinem anderen Stürmer vergleichen.“ Klose führt die Rangliste zwar nun mit 71 Treffern an, benötigte für die Bestmarke aber 137 Länderspiele. Müller traf in nur 62 Partien für Deutschland 68 Mal - eine phänomenale Quote von 1,1 Treffern pro Spiel.
Das Tor für die Ewigkeit gelang Müller am Ende seiner viel zu früh beendeten DFB-Karriere. Im WM-Finale 1974 erzielte er im Münchner Olympiastadion das 2:1 gegen die Niederlande. „Ich habe schönere Tore gemacht, aber das wichtigste war dieses Weltmeistertor“, sagte er.
Wenn Müller nach seiner Karriere, die 1982 unrühmlich in den USA ausgeklungen war, bei Spielen auf der Tribüne seinen Nachfolgern zuschaute, stellte sich der Bomber stets dieselbe Frage, wenn ein Schuss oder ein Kopfball nicht im Netz landete. „Hättest du den reingemacht?“ Wahrscheinlich schon. Müllers 40 Tore in der Saison 1971/72 sind bis heute Bundesliga-Rekord. Für ewig unantastbar?
Als Gerd Müller 1964 als 18-Jähriger vom schwäbischen Amateurligisten TSV 1861 Nördlingen zum FC Bayern wechselte, wurden seine Tore mit einem Grundgehalt von 160 Mark im Monat entlohnt. Heutzutage würde er mit Millionen überschüttet. Doch ein Profi-Dasein in Zeiten von Twitter, Facebook und ständigem Medienrummel wäre für Gerd Müller vermutlich eher ein Gräuel als ein Glücksfall gewesen.
Müller hat Beckenbauer, der im September ebenfalls 70 Jahre alt geworden ist, niemals um seinen Status als Lichtgestalt beneidet. „Was der Franz rumfliegt und umgeht - nein danke. Ich bin keiner, der gerne weg von zu Hause ist“, erzählte Müller in jenen Tagen, als es ihm noch besserging. Vor seiner Erkrankung ließ sich Müller auf Champions-League-Reisen des FC Bayern als Attraktion für Sponsoren und Edelfans einspannen. Das genügte ihm an Aufmerksamkeit.