Borussia Dortmund Götze ist ein Gesicht der Dortmunder Krise
Dortmund. Auch an diesem Abend warten die meisten Reporter vor allem auf ihn. Kurz vor Mitternacht ist es so weit. Der kräftige junge Mann mit der adretten Frisur und dem Dreitagebart tritt vor die Mikrofone und liefert Statements wie diese: „Das ist nicht unser Anspruch, definitiv nicht.“ Oder auch: „Das darf uns nicht passieren, wir müssen vor dem Tor eiskalter sein.“
Sätze für die Ewigkeit sind das nicht, doch darauf kommt es an diesem kühlen Novemberabend, an dem sich Borussia Dortmund zu einem peinlichen 1:1 gegen APOEL Nikosia gequält hat, nicht an. Mario Götze ist immer noch das prominenteste Gesicht, das der mit Prominenz gespickte Kader von Borussia Dortmund zu bieten hat. Schließlich hat dieser junge Mann Dinge erlebt, von denen nur den wenigsten Fußballer berichten können. Vor allem natürlich jener Moment am 13. Juli 2014, dessen Strahlkraft noch Generationen überdauern wird. Wer ein WM-Finale entscheidet, wie es Götze gegen Argentinien im Maracana gelang, steigt in die Riege der Helden mit Ewigkeitsstatus auf. Zum aktuellen Kader der Nationalmannschaft gehört Götze nun wieder. Für die Länderspiele in London gegen England und in Köln gegen Frankreich berief Bundestrainer Löw den Mittelfeldspieler nach 354 Tagen Abstinenz.
Doch all der Glanz kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Alltag des einstigen Wunderknaben so grau und ungemütlich daher kommt wie ein wolkenverhangener Herbsttag im Revier. Für den begnadeten Fußballer Mario Götze gilt derzeit das Gleiche wie für den gesamten BVB: Es läuft nicht. Nach mitreißendem Saisonstart ist das börsenorientierte Fußballunternehmen immer weiter in die Bredouille geschliddert. Mittlerweile ist die Mannschaft von ihrer Form so weit entfernt, dass sie sich und ihren Fans immer rätselhafter wird.
Um die Krise zu bebildern, lassen sich in Dortmund mannigfaltige Beispiele finden: Der dauerfröhliche Torjäger Pierre-Emerick Aubameyang hat sein Lachen verloren, weil er den Ball seit Wochen nicht mehr versenkt. Der kernige Manndecker Sokratis schaut nur noch selten grimmig und oft verzagt, weil er nicht mehr in die Zweikämpfe kommt. Torhüter Roman Bürki leistet sich mehr Patzer, als es für eine Fachkraft seiner Güte statthaft ist. Und Mario Götze sucht nach der Genialität und dem Selbstverständnis, die sein Spiel früher so hinreißend machten.
Die fehlende Leichtigkeit eines der größten Talente, das dem deutschen Fußball jemals geschenkt wurde, hat viel mit der Krankengeschichte zu tun, die Götze neben vielen Verletzungen durchleiden musste. Im Februar wurde beim Edeltechniker eine Stoffwechselkrankheit diagnostiziert, die ihn monatelang außer Gefecht setzte. Seit seiner Genesung kämpft er verbissen darum, wieder in die Verfassung zu kommen, die ihn einst zu einem der großen Hoffnungsträger des Weltfußballs machte.
Sein Trainer Peter Bosz stärkt ihm mit nicht nachlassendem Langmut den Rücken, überhaupt betonen sie in Dortmund immer wieder, dem Außergewöhnlichen alle Zeit zu geben, die er benötigt. Bis dahin bleibt der Rückkehrer aus München ein Versprechen, das darauf wartet, endlich eingelöst zu werden. Alles in allem fällt das Arbeitszeugnis gar nicht mal so schlecht aus: Götze läuft viel, bietet sich an, ist ständig unterwegs, um im Dienste der Mannschaft die Räume zu verdichten.
Doch das, was ihn eigentlich ausmacht, ist irgendwo zwischen Bayern und dem Revier auf der Strecke geblieben. Die explosiven Tempodribblings, jene überraschenden Richtungswechsel, die Geistesblitze, mit denen eine Abwehr aus dem Stehgreif ausgehebelt werden kann. Mithin alles, was einen Spieler auszeichnete, der die Menschen zum Schwärmen brachte.
Wenn Götze darauf angesprochen wird, verweist er darauf, er interpretiere sein Wirken nun anders als zu seiner Sturm-und-Drang-Phase. Den unwiderstehlichen Mario von früher werde es nicht mehr geben, mit 25 sei er gereift und bevorzuge einen anderen Stil. Doch wer ihn über einen längeren Zeitraum beobachtet, gelangt zu der Überzeugung, dass es sich bei solchen Ausführungen um eine Hilfskonstruktion handelt. Am liebsten würde Götze all das zeigen, was die Menschen in Dortmund herbeisehnen. Die Crux ist: Er ist derzeit dazu schlicht nicht in der Lage.
Der Ist-Zustand von Mario Götze war beim trostlosen Remis gegen Nikosia exemplarisch zu begutachten: Willig, fleißig, bieder, einfallslos. Ausgerechnet in dieser Phase kommt am Samstag (18.30 Uhr, live auf Sky) mit dem Rekordmeister aus Bayern der schwerstmögliche Gegner zum Gipfel ins Ruhrgebiet. Auch dazu hatte der ehemalige Münchener in der Mixed Zone des Stadions etwas mitzuteilen: „Wir müssen nach vorn schauen, wir haben ein Spiel zuhause, das sehr, sehr wichtig für uns ist“, verkündete das Gesicht von Borussia Dortmund, bevor es in der Nacht verschwand. Götze sprach über die Mannschaft des BVB, doch es klang, als referiere er über sich selbst: „Wir wollen den Fans, die ins Stadion kommen, mal wieder was bieten.“