HSV-Absturz: Fans attackieren Spieler - Kommt Magath?
Hamburg (dpa) - Beim Hamburger SV sorgt die Abstiegsangst für Wut und Gewalt. Die Führungscrew und die Mehrzahl der Fans sind nach der bitteren Heimklatsche in Schockstarre verfallen, die radikale Fraktion der HSV-Anhänger hat die Situation beim taumelnden Bundesliga-Dino noch verschärft.
Fans attackierten nach dem 0:3 gegen Hertha BSC die eigenen Spieler, traten auf deren Autos ein und schlugen sich anschließend selbst die Köpfe blutig. Die Polizei griff mit Pfefferspray und Schlagstöcken ein.
Trainer Bert van Marwijk muss um seinen Posten zittern, obwohl ihm der komplette Vorstand die Treue schwört. Der Aufsichtsrat soll sich nach Informationen des „Hamburger Abendblatt“ bereits vor einigen Tagen mit Felix Magath getroffen haben. „Wenn mir jemand so eine Aufgabe anbieten würde, könnte ich mir Gedanken darüber machen. Bis jetzt ist es nicht passiert“, sagte der 60 Jahre alte Fußballlehrer dem Radiosender WDR 2. Käme Magath, müssten der Trainer und Sportchef Oliver Kreuzer gehen.
Vereinschef Carl Jarchow stand aber auch am Tag danach zum Trainer und verband sein eigenes Schicksal mit dem des Niederländers. „Wir haben alles analysiert und im Vorstand die Entscheidung getroffen, mit Bert van Marwijk weiterzumachen“, sagte Jarchow. Dabei seien drei Fragen in den Mittelpunkt gestellt worden: Erreicht der Trainer die Mannschaft noch? Ist er entschlossen genug? Hat er einen Plan? Jarchow: „Wir haben alle Fragen mit einem Ja beantwortet.“
Prekär war die Situation am Samstag nach der peinlichen Pleite gegen die Berliner. „Scheiß Millionäre“, grölten rund 250 Fans auf dem Parkplatz vor dem Stadion, als Rafael van der Vaart vor sie trat. Der Kapitän stürmte wütend auf eine Fangruppe zu, die ihn beschimpfte. Er schubste und wurde geschubst. Bierbecher flogen. Später traten Fans gegen die Autos von Leihspieler Ola John und Tolgay Arslan, als diese davonfuhren. Die Wut traf auch die Vereinsführung. „Vorstand raus“, schallte es über den Platz.
Oliver Scheel, als Vorstands-Vize zuständig für Mitglieder-Belange, griff die randalierenden Fans verbal an. „Was da passiert ist, geht zu weit“, sagte Scheel am Sonntag. Er will polizeiliche Ermittlungen abwarten und dann Maßnahmen durch den Verein gegen die Täter einleiten. „Ich habe mit den Spielern gesprochen. Manche stecken das, was passiert ist, nicht so gut weg.“
Am Samstagabend sollen Aufsichtsratsmitglieder die Trennung vom Trainer gefordert haben, meldete „Bild am Sonntag“. Eine Bestätigung dafür gab es nicht. Der Vorstand ist gegen eine Trennung. „Der Trainer bleibt definitiv“, betonte Kreuzer. „Wir haben kein Trainerproblem, wir haben ein Defensivproblem“, sagte er nach dem Negativrekord von sechs Niederlagen in Serie.
Van Marwijk soll den HSV auf jeden Fall am Mittwoch im DFB- Pokalviertelfinale gegen Bayern München und am nächsten Samstag beim Tabellenletzten Eintracht Braunschweig betreuen. Kreuzer: „Wenn ich wüsste, ein anderer Trainer sitzt draußen, und mit dem spielt die Verteidigung besser, wechsel ich gleich morgen. Aber das Gefühl habe ich nicht.“
In der gegenwärtigen Verfassung kann die Hamburger Mannschaft in der Bundesliga nicht bestehen. „Wir stehen sehr nahe vor der Zweitklassigkeit“, gab auch Kreuzer zu. Erschütternd, wie ansonsten begnadete Fußballer wie van der Vaart, Hakan Calhanoglu oder Milan Badelj scheinbar alles verlernt haben. Die Fehlleistungen der Innenverteidiger Heiko Westermann, deutscher Nationalspieler, und Johan Djourou, Schweizer Nationalspieler, sprechen Bände. „Nichts“, sagte Westermann, als er gefragt wurde, was ihm zur Leistung der Mannschaft einfällt.
Marwijk appellierte verzweifelt an die Spieler: „Wir steigen nicht ab! Wir haben noch 14 Spiele.“ Überzeugt schien das Team nicht zu sein. „Ich weiß nicht, ob eine Situation schon einmal so erdrückend war wie im Moment“, sagte Außenverteidiger Marcell Jansen. Seit Saisonbeginn fing sich der HSV 47 Gegentore ein. In der Rückrunde gingen alle drei Partien mit 0:3 verloren.
Torhüter René Adler, der nach längerer Verletzungspause erstmals wieder im Kasten stand, warnte: „Wir müssen aufpassen, dass die Mannschaft nicht auseinanderbricht.“ Er hatte mit einem gehaltenen Foulelfmeter von Doppeltorschütze Adrian Ramos eigentlich das Signal für einen leidenschaftlichen Kampf seines Teams gegeben. Wenige Sekunden später ging Hertha mit 1:0 in Führung und zerlegte das Gastgeberteam. „Ich glaube, jeder hat Angst“, gestand Adler und ergänzte kämpferisch: „Wir liegen heute am Boden, aber spätestens morgen stehen wir wieder auf.“
Das Pokalspiel gegen die Über-Bayern am Mittwoch kommt zur Unzeit. „Da erwartet niemand etwas von uns“, sagte Kreuzer. Torhüter Adler will hingegen „gute Situationen sammeln“, um das Selbstbewusstsein zu stärken. Eine deftige Klatsche kann aber auch das Gegenteil bewirken.