TSG Hoffenheim Nagelsmann: „Man darf nicht von Perfektion träumen“
Hoffenheims 28 Jahre alter Trainer Julian Nagelsmann über Ratgeber, Ablenkung und Ü-30-Partys.
Sinsheim. Julian Nagelsmann ist ein gefragter Mann. Weil er 28 Jahre alt und damit der jüngste Bundesliga-Trainer ist. Und weil er in diesen Wochen in ziemlich beeindruckender Manier die TSG Hoffenheim aus dem Tabellenkeller der Fußball-Bundesliga manövriert. Rund 100 Interviewanfragen liegen der Presseabteilung der TSG für ihn vor. Unserem Mitarbeiter Florian Huber stand Nagelsmann Rede und Antwort.
WZ: Herr Nagelsmann, wie wird der Fußball aussehen, wenn Sie im Jahr 2070 mit 82 der älteste Trainer der Liga sind?
Julian Nagelsmann: Oh, das ist eine gute Frage. Wahrscheinlich wird das Spiel wesentlich schneller sein, im Gegensatz zu mir. Ich werde dann wohl mehr sitzen. Wahrscheinlich wird der Fußball eine sehr, sehr komplexe Sache sein, technisch transparenter als heute.
WZ: Hatten Sie den Rummel um Ihre Person so erwartet?
Nagelsmann: Mir war bewusst, was da auf mich zukommt. Natürlich werde ich jetzt häufiger angesprochen beim Bäcker. Deshalb kaufe ich nur noch gesunde Sachen, damit mir da keiner etwas vorwerfen kann. (lacht)
WZ: Bei wem sucht ein junger Bundesliganeuling Rat?
Nagelsmann: Es gibt viele im Verein, die ich fragen kann. Es gehört für mich auch dazu, Interviews von Kollegen zu lesen. So lässt sich gewissermaßen Rat anlesen, wie man sich gibt — oder besser nicht.
WZ: Gehören Sie zum Typ Trainer, der 24 Stunden am Tag an Fußball denkt?
Nagelsmann: Ich möchte mir beibehalten, dass ich mit Leib und Seele dabei bin. Aber ich habe schon früh gelernt, dass man auch die Fähigkeit besitzen muss, mal abschalten zu können. Ich schaue nicht jedes Fußballspiel an, das im Fernsehen gezeigt wird.
WZ: Wie lenken Sie sich ab, wenn nicht die Familie im Mittelpunkt steht?
Nagelsmann: Schlafen und Sport. Grundsätzlich mache ich alle Sportarten gerne, bei denen ein Ball dabei ist, egal ob groß oder klein.
WZ: Wie unterschiedlich ist die Arbeit in der Bundesliga im Vergleich zum Jugendbereich?
Nagelsmann: Die Arbeit im Jugendfußball ist ähnlicher als man denkt. In Sachen Menschenführung ist es im Erwachsenenbereich anspruchsvoller.
WZ: Das hatten Sie auch. Wie schlimm war es denn, schon mit 20 merken zu müssen: mein Körper steht mir in Sachen Profikarriere im Weg.
Nagelsmann: Man nimmt ja viele Entbehrungen dafür auf sich. Ich bin früh von daheim ausgezogen und ins Internat bei 1860 München gegangen. Man verzichtet für den Fußball auf vieles, auch auf Partys. Als dann klar war, das wird nichts, gab es schon Momente, in denen ich gehadert habe. Aber ich habe dadurch gelernt, nur nach vorne zu schauen.
WZ: Wie nah kommt denn die aktuelle Hoffenheimer Mannschaft Ihren Erwartungen an ein Team?
Nagelsmann: Die Jungs haben das gut gemacht in den vergangenen Wochen. Aber ich habe schon als Jugendtrainer gelernt, dass man von Perfektion nicht träumen darf. Fußball ist nun mal ein Fehlerspiel. Es gibt den Sahnetag, Aber nicht den perfekten Tag.
WZ: Wie gehen Sie mit Niederlagen um?
Nagelsmann: Das Verlieren ist mir in meinem Leben noch nie leicht gefallen.
WZ: Ihre Spieler loben Sie für Ihre Ansprachen vor den Spielen. Geplant oder intuitiv?
Nagelsmann: Das ist wie in der Schule bei einem Referat. Da hat man sich seine Notizen vorher auch angeschaut, aber in der Situation fällt einem dann nur ein Teil davon ein. Aber bei der Ansprache sagt man auch Dinge, die so gar nicht geplant waren. Schon als Schüler lagen meine Stärken eher im Mündlichen als im Schriftlichen.
WZ: Wie sehr darf ein junger Bundesliga-Trainer Kumpeltyp sein?
Nagelsmann: Das ist zum einen abhängig von der Mannschaft, aber auch von der Situation. So lange es funktioniert, darf jeder Trainer so sein wie er will. Ich habe da kein Paraderezept nach dem Motto: heute bin ich zu 70 Prozent Kumpel, morgen zu 80 Prozent. Wenn die Mannschaft fokussiert ist, spricht nichts gegen ein gutes Miteinander.
WZ: Welche Überschrift soll nach dem 34. Spieltag über dem letzten Hoffenheimer Saisonspiel prangen?
Nagelsmann: Die Mannschaft hat sich in der Liga gehalten.
WZ: Eine langweilige Überschrift.
Nagelsmann: Die guten Schlagzeilen müssen die Journalisten liefern.
WZ: Und wie fällt Ihre Antwort aus, wenn die Mannschaft nach dem letzten Saisonspiel verlangt, auf den Klassenerhalt gemeinsam einen trinken zu gehen?
Nagelsmann: (lacht) Da sage ich nicht nein.
WZ: Solange es nicht auf ein Ü-30-Party geht, oder?
Nagelsmann: Da müsste ich mir dann noch ein Ausweis machen lassen.
Der 36-jährige Sportdirektor Alexander Rosen, der neben Nagelsmann sitzt, sagt: „Keine Sorge, ich bringe dich da rein.“