Juristisches Nachspiel Neue Aufreger um Videobeweis: Köln hofft auf Neuansetzung
Dortmund (dpa) - Aufgeregte Diskussionen, juristisches Rätselraten, verärgerte Sieger - der Videobeweis gerät bereits in seiner Testphase mehr und mehr in die Kritik. Beim 0:5 (0:2) des 1. FC Köln in Dortmund trug das zur Vermeidung von Fehlentscheidungen eingeführte Hilfsmittel zur Verwirrung bei.
Möglicherweise droht der Bundesliga ein Präzedenzfall. „Wir müssen die Situation aufklären, um zu wissen, was in den nächsten Wochen auch auf anderen Plätzen passieren kann“, begründete FC-Trainer Peter Stöger den geplanten Protest gegen die Spielbewertung, „wenn man will, dass der Videobeweis funktioniert, sollte man ein paar Dinge klar festlegen.“ Eine endgültige Entscheidung, ob Protest eingelegt wird, vertagte der Verein aber auf Dienstag.
Stein des Anstoßes war die Entscheidung von Schiedsrichter Patrick Ittrich beim 2:0 des BVB kurz vor der Halbzeit. Wie die TV-Bilder bewiesen, war FC-Torwart Timo Horn beim Dortmunder Eckball nicht vom Torschützen Sokratis, sondern von Mitspieler Dominique Heintz behindert worden. Nach Rücksprache mit Videoassistent Felix Brych nahm Referee Patrick Ittrich seinen Foulpfiff zurück.
Dieser Pfiff war aber erfolgt, als der Ball noch gar nicht die Linie überschritten hatte. Das wertete FC-Manager Jörg Schmadtke als „klaren Regelverstoß“: „Der Schiedsrichter hat gepfiffen, bevor der Ball die Linie überquert. Dann kann er danach nicht Tor geben.“
Brych konnte den Pfiff in seinem Kölner Studio nicht hören. Die direkte Leitung, über die der Videoassistent mit dem Schiedsrichter in Kontakt steht, filtert die Außengeräusche. Nun wird sich der DFB die Frage stellen müssen, ob ein unter falschen Voraussetzungen angewandter Videobeweis eine Tatsachenentscheidung ist oder nicht. Schmadtke ist guter Dinge, dass die Partie wiederholt wird: „Wenn gegen das Regelwerk entschieden wird, gibt es normalerweise eine Neuansetzung.“
Allerdings halten sich die Sorgen der Dortmunder, dass die drei Punkte aberkannt werden, in Grenzen. Ein Passus in einem Protokoll des International Football Association Board spricht dagegen und verweist auf die Rolle des Video-Assistenten (VSA): „Ein Spiel ist nicht ungültig aufgrund falscher Entscheidungen, die den VSA betreffen (da der VSA ein Spieloffizieller ist).“ Demnach ist der Video-Assistent vor dem Sportrecht zu behandeln wie ein Linienrichter, da die endgültige Entscheidung immer noch dem Schiedsrichter obliegt.
Der ehemalige Schiedsrichter Markus Merk glaubt nicht an eine Spielwiederholung. „Nach den Erfahrungen glaube ich eher nein, obwohl es sich um einen klaren Regelverstoß handelt. Es gab verschiedene Entscheidungsebenen. Das hat letzendlich zu der fatalen Folge geführt, dass man eine Entscheidung, die nicht korrigierbar war, korrigiert hat“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur.
Die Protest-Pläne der Kölner brachten Hans-Joachim Watzke auf die Palme. Der BVB-Geschäftsführer verwies auf den höchst einseitigen Spielverlauf und den hochverdienten Sieg der Borussia nach Toren von Maximilian Philipp (3./69.), Pierre-Emerick Aubameyang (59./Foulelfmeter/60.) und Sokratis (45.): „Ob der Ball 20 Zentimeter vor der Linie war oder nicht - das ist doch lächerlich. Das ist eine Attitude des schlechten Verlierers.“ Sportdirektor Michael Zorc wählte ähnlich polemische Worte: „Wenn sie Protest einlegen wollen, sollen sie. Aber das ist doch grotesk.“
Die neuerliche Aufregung über den Videobeweis ersparte den Kölnern unangenehme Schlagzeilen über den schlechtesten Saisonstart der Vereinsgeschichte. Erstmals seit dem Amtsantritt von Stöger gingen vier Bundesliga-Spiele in Serie verloren. Die Hoffnung, dass der passable Auftritt beim FC Arsenal (1:3) Indiz für eine Trendwende sein könnte, erwies sich als Wunschdenken. Noch sieht der österreichische Fußball-Lehrer keinen Grund zur Panik: „Wir hatten ein schwieriges Auftaktprogramm. Vier von fünf Spielen waren auswärts.“
Mit dem souveränen Auftritt festigte der BVB die Tabellenführung und rehabilitierte sich für das 1:3 in der Champions League bei Tottenham Hotspur. Nach dem starken Saisonstart mit zehn Punkten und 10:0-Toren nach vier Spielen stimmten die Fans auf der Südtribüne erstmals seit langer Zeit wieder Meisterlieder an. Dass sich die beiden Neuzugänge Andrej Jarmolenko und Maximilian Philipp als echte Verstärkungen erwiesen, schürte die Zuversicht zusätzlich. Der Ukrainer bereitete das 1:0 mustergültig vor, der einstige Freiburger traf gleich doppelt.
Zudem feierte Julian Weigl nach rund viermonatiger Zwangspause sein Comeback. „Es war traumhaft, wieder hier im Stadion einzulaufen - und dann noch ein deutlicher Sieg. Ich kann kaum glücklicher sein“, kommentierte der Nationalspieler.