„Neuzugänge“ aus der Reha
Profifußballer durchleben nach schweren Verletzungen häufig eine Leidenszeit - nicht nur wegen der körperlichen Beschwerden. Der Stuttgarter Johan Audel und Leon Andreasen von Hannover 96 gehören zu einer Gruppe von Spielern, die extrem lange Pausen einlegen mussten.
Stuttgart (dpa) - Als Johan Audel bei der Saison-Eröffnung des VfB Stuttgart die Bühne in der Mercedes-Benz-Arena betrat, regte sich nur zaghafter Applaus. Es war, als würden die Fans des Bundesligisten nicht erkennen, welcher Fußballer ihnen entgegentrat und schüchtern winkte.
Das war nicht verwunderlich, denn in Erscheinung getreten ist Audel bisher kaum - obwohl er schon im Sommer 2010 vom französischen Erstligisten Valenciennes FC nach Stuttgart gekommen war. Der Grund: eine Verletzungsakte, die wirkt wie eine Gruselgeschichte.
Siebenmal ist Audel seit seinem Wechsel operiert worden. Zunächst hatte er Probleme mit dem Sprunggelenk, die fünf Eingriffe nach sich zogen. Noch heftiger traf es ihn am 13. Dezember 2010: Beim ersten Training unter dem gerade zum VfB gekommenen Trainer Bruno Labbadia prallte der offensive Mittelfeldspieler mit Torwart Sven Ulreich zusammen und zog sich einen Riss des Kreuzbandes sowie einen Innenband-, Außenband und Meniskusschaden zu. Erst jetzt greift der 28-jährige Franzose nach mehr als 19 Monaten Pause wieder an.
Er gehört zu einer Gruppe von Bundesliga-Profis, die nach extrem langen Verletzungspausen zurückkommen. Das ist auch bei Audels neuem VfB-Kollegen Tim Hoogland, dem Neu-Hoffenheimer Matthieu Delpierre oder Leon Andreasen von Hannover 96 so. Hoogland und Delpierre unternahmen bereits Ende der zurückliegenden Saison einen Bundesliga-Anlauf, Andreasen fehlt wegen Beschwerden an Leisten und Adduktoren seit über zwei Jahren. „Es war ein Kampf und es bleibt so. Der Kampf geht weiter. Jetzt will ich auch zurück in die Mannschaft“, beschrieb der 29 Jahre alte Mittelfeldspieler aus Dänemark im „Kicker“ die Bemühungen um das langersehnte Comeback.
Es verlangt viel harte Arbeit, denn: „Die Spieler bemerken in der Reha schnell Fortschritte“, sagt VfB-Mannschaftsarzt Raymond Best. „Aber die Kurve flacht sich nach hinten schnell ab. Bei der Rückkehr hapert es deshalb oft an den letzten 10 bis 15 Prozent.“ Generell gelte die Formel: So lange wie die Verletzungspause dauere, brauche ein Spieler auch, um wieder in Topform zu kommen. So sei bei Audel die ursprüngliche Verletzung „schon lange nicht mehr das Problem“, erklärt Best. Immer wieder träten aber muskuläre Probleme auf - neulich eine Oberschenkelzerrung, nun zwickt die Wade.
Deshalb übt Audel, der in der Bundesliga auf eine Bilanz von nur drei Kurzeinsätzen am Anfang seiner Stuttgarter Zeit kommt, im VfB-Trainingslager in Donaueschingen derzeit abseits des Teams - und wirkt, obwohl schon zwei Jahre Teil des Kaders, wie ein Neuzugang. „Es gibt viele Dinge, die ich hier wieder neu entdecke“, sagte der Außenbahn-Spieler Anfang Juli den „Stuttgarter Nachrichten“. „Der Trainer ist für mich neu, auch wenn ich ihn schon eineinhalb Jahre kenne. Trainiert habe ich unter ihm aber noch nicht wirklich.“
Im Unterschied zur Leihgabe Hoogland (Knorpelschaden im rechten Knie), der bei Schalke 04 lange ausfiel und nun beim VfB seit Mittwoch wieder voll im Mannschaftstraining steht, muss Audel weiter geduldig sein. Es könne noch die gesamte Hinrunde dauern, bis er für den normalen Spielrhythmus wieder voll belastbar ist, meint der Mediziner Best. Zwar sei Audel ein positiver Typ, doch im Allgemeinen sind solche Phasen für Profis auch psychisch belastend. „Für den Spieler ist Fußball sein Lebensinhalt, mit dem er seinen Unterhalt verdient. Da sind Karriere-Ängste normal“, sagt Best.
Hoffnung geben könnte Audel, Andreasen und Co. der Dortmunder Kapitän Sebastian Kehl. Wegen mehrerer Verletzungen kam er über lange Zeit kaum noch zum Einsatz, wurde in der vergangenen Saison aber wieder zum Leistungsträger und mit der Borussia zum dritten Mal Meister. „Das war eine sehr schwere Zeit, aber ich möchte nicht zurückblicken, sondern nach vorne“, sagt Audel. „Jetzt geht es darum, wieder das alte Niveau zu erreichen.“ Es kann noch etwas dauern.