Sportpsychologe fordert „mehr Trainer für die Trainer“

Berlin (dpa) - Depressionen, Burn-Out, Erschöpfung: Immer wieder machen psychische Belastungen im Profi-Sport Schlagzeilen. Nun hat sich in Schalke-Trainer Ralf Rangnick ein weiterer Spitzensportler dazu bekannt.

Wegen eines „Erschöpfungssyndroms“ ist der Fußballlehrer zurückgetreten.

Sportpsychologe Prof. Jens Kleinert von der Deutschen Sporthochschule Köln fordert in einem Interview der Nachrichtenagentur dpa mehr psychologische Betreuung in den Vereinen und Verbänden - und erklärt, warum auch Trainer einen Trainer brauchen.

Ralf Rangnick ist ein erfahrener Trainer, der mit Schalke und Hoffenheim viel erreicht hat - Wieso schützt Erfolg nicht vor psychischen Erkrankungen wie Burn-Out?

Prof. Kleinert: „Der Erfolg im Profi-Sport schützt nicht, weil er mit unheimlich hohen psychischen Anstrengungen verbunden sein kann. Wenn durch Zwänge nur noch der Erfolg im Vordergrund steht, sind das schlechte Voraussetzungen, die Burn-Out begünstigen. Hochleistungsorientierte Menschen sind dabei besonders stark in der Gefahr, an Burn-Out zu erkranken, da sie hohe Ansprüche an sich selbst haben. Wenn ein Ziel erreicht ist, dann ist nicht Schluss, sondern dann setzt man sich das nächste Ziel. Es nicht nur der Druck von außen, unter dem man steht, sondern auch der, den man sich selbst macht.“

Welche Rolle spielt bei der psychischen Belastung, dass die Trainer so stark in der Öffentlichkeit stehen?

Prof. Kleinert: „Das ist natürlich eine unheimliche Belastung, muss aber nicht unbedingt zum Burn-Out führen. Es ist wichtig, dass die Trainer mit dem Druck von außen umzugehen lernen, aber auch mit ihren eigenen Ansprüchen. Viele Trainer tun zu wenig für sich selbst. Sie bringen ihren Spielern bei, wie sie Stress kompensieren können, beherzigen die Strategien aber nicht selbst. Deswegen ist es wichtig, dass es mehr Trainer für die Trainer gibt, also psychologisch geschulte Berater, die den Fußballlehrern klarmachen, wie wichtig körperliche Erholung, Freunde und Familie sind, um den Stress in diesem Job zu kompensieren.“

Was muss sich am System Profi-Sport ändern, um Fälle wie die von Ralf Rangnick künftig zu verhindern?

Prof. Kleinert: „Nicht das System muss sich ändern, sondern die Ressourcen müssen optimiert werden. Vereine und Verbände müssen mit Sportpsychologen und Psychotherapeuten zusammenarbeiten und Ansprechpartner zur Verfügung stellen. So kann Prävention und Früherkennung geleistet werden. Die Vereine und Verbände müssen bereit sein, dafür zu investieren.“

Auf welchem Weg sehen sie die Vereine hier?

Prof. Kleinert: „Sie sind auf dem Weg, aber es hat sich noch nicht in allen Köpfen festgesetzt. Ich verstehe, dass ein Verein leistungsorientiert denken muss, aber ich glaube noch nicht alle haben verstanden, dass die psychische Gesundheit von Spielern, Trainern und Beteiligten die Grundlage dafür ist, auch erfolgreich zu sein. Vereine müssen nicht nur Mediziner und Konditionstrainer einstellen, sondern auch Sportpsychologen und außerdem mit Psychiatern oder Psychotherapeuten zusammenarbeiten.

Was hat sich seit dem Selbstmord von Robert Enke geändert für den Profi-Fußball?

Prof. Kleinert: „Der Fall hat die Öffentlichkeit sensibilisiert. Er hat dazu geführt, dass wir mit „mentalgestärkt.de“ ein Netzwerk für psychische Gesundheit im Leistungssport gegründet haben. Trotzdem muss noch massive Aufklärungsarbeit geleistet werden. Denn das Umfeld in einem Verein muss sehr gut sein, dass jemand sich überhaupt zu seiner Erkrankung bekennt. Das geht nur in einem Verein, wo die Betroffenen wissen, dass sie unterstützt werden. Es kommt noch viel zu oft vor, dass Erkrankungen nicht erkannt oder verschwiegen werden.“