Trotz Kritik und Chaos Stimmung ist weiter pro Videobeweis
Frankfurt/Main (dpa) - Exakt 986 Mal hat der Video-Assistent in der bisherigen Bundesliga-Saison die Entscheidung eines Schiedsrichters überprüft. 44 Mal wurde eine Entscheidung danach auch korrigiert.
34 Mal erwies sich dieser Eingriff als richtig.
Diese interne Statistik des Deutschen Fußball-Bundes liegt der Deutschen Presse-Agentur vor dem letzten Spieltag der Hinrunde an diesem Wochenende vor.
Hinzu kommt: Bei einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov sprachen sich 64 Prozent der mehr als 2000 Befragten dafür aus, dass der Videobeweis bei Bundesliga-Spielen auch weiterhin zum Einsatz kommt. Nur 17 Prozent sind dagegen für seine sofortige Abschaffung.
Wer diese Zahlen liest, könnte sich fragen: Warum dann die ganze Aufregung? Warum wird ein Projekt wie der Videobeweis, das über Jahre gefordert und bei seiner Einführung im Sommer von einer großen Mehrheit der Bundesliga-Vertreter begrüßt wurde, warum wird diese Revolution seit einem halben Jahr so hitzig diskutiert, massiv kritisiert und teilweise auch zerredet? Warum schimpfte der Weltmeister Christoph Kramer von Borussia Mönchengladbach in dieser Woche via „Bild“-Zeitung: „Der Videobeweis geht mir auf den Sack!“?
Einen Hinweis darauf gibt ebenfalls die YouGov-Umfrage im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur. Eine große Mehrheit der Befragten ist zwar grundsätzlich für den Videobeweis. Aber nur 27 Prozent sind auch der Meinung, dass der Fußball durch ihn gerechter geworden ist.
Der Videobeweis an sich wird von vielen also nicht als Problem angesehen, wohl aber die Umsetzung. „Zu Anfang haben sich Probleme im technischen Bereich eingestellt, die haben wir aber unter Kontrolle bekommen. Derzeit sehe ich noch zwei Baustellen“, sagte auch der DFB-Schiedsrichter-Chef Lutz Michael Fröhlich in dieser Woche dem TV-Sender Sky. „Die erste ist, dass wir bei der Definition von klaren Fehlern Klarheit haben müssen. Und die zweite Baustelle: Das Projekt lebt von Transparenz und Kommunikation. Wir können nicht nach jedem Wochenende Kursänderungen vornehmen. Das bringt nichts.“
Wann genau soll der Video-Assistent eingreifen und wann nicht? Das ist die entscheidende Frage, die schon seit Monaten diskutiert wird, aber noch immer nicht für alle Beteiligten zweifelsfrei geklärt wurde. „Jetzt haben die Schiedsrichter schon eine technische Hilfe. Nur wird sie eben manchmal eingesetzt und manchmal auch nicht. Manchmal weiß man gar nicht mehr: Wie, was, wieso, weshalb?“, kritisiert der Sportvorstand von Eintracht Frankfurt, Fredi Bobic.
Seine Kritik macht deutlich, wie schlecht die Verantwortlichen im deutschen Fußball die Umsetzung des Videobeweises organisiert und wie sehr sie damit ein Prestigeprojekt auch diskreditiert haben. Die Schwächen des Systems wurden bereits im Sommer beim Confed Cup in Russland deutlich: Wie viel Zeit manchmal bei der Überprüfung einer Entscheidung vergeht. Oder dass sich der Schiedsrichter auf dem Platz manchmal zu sehr auf seinen Assistenten am Bildschirm verlässt.
Doch statt diese Probleme aufzunehmen, erklärte der DFL-Direktor Ansgar Schwenken während des Confed Cups: „Wir fühlen uns gut gerüstet.“ Nach mehreren Monaten der Schulung seien die deutschen Video-Assistenten „sicherlich anwendungssicherer als jemand, der vor einem Turnier in ein paar Tagen Schnellkurs vorbereitet worden ist.“
Ein typischer Fall von Hybris im deutschen Fußball. Denn wie anwendungssicher die Schiedsrichter tatsächlich sind, zeigte sich während der Bundesliga-Hinrunde. Erst änderte der DFB schon nach dem 5. Spieltag heimlich die Richtlinien für den Videobeweis, ohne die Vereine sofort darüber zu informieren. Dann kassierte Präsident Reinhard Grindel diese Änderung in nur einem TV-Interview wieder ein. Projektleiter Hellmut Krug musste gehen, das Chaos war perfekt.
Wer Spieler und Trainer reden hört oder wie YouGov die Fans befragt, hört trotzdem heraus: Es gibt immer noch eine Stimmung pro Videobeweis. „Grundsätzlich finde ich den Videobeweis gut. Man sollte ihm weiter eine Chance geben. Alle Beteiligten wollen nur das Beste“, sagt Thomas Müller. Der Nationalstürmer des FC Bayern München glaubt, dass die Einführung der technischen Hilfsmittel von Beginn an mit der Erwartung überladen wurde, dass es jetzt gar keine Fehlentscheidungen mehr geben könne. „Das Ganze nimmt nicht die Schwierigkeit des Schiedsrichter-Daseins“, sagt er. „Es wird immer Diskussionen geben.“
Im Ausland werden die offenbar entspannter geführt. England und Spanien wollen im kommenden Jahr nachziehen und den Videobeweis ebenfalls einführen. Der wohl wichtigste Termin liegt im März 2018. Dann wird der Weltverband FIFA entscheiden, ob die Technik auch bei der WM in Russland genutzt wird oder nicht. Ob sie im Fußball dauerhaft eingesetzt wird oder es bei einer Testphase bleibt. Die Tendenz ist eindeutig: Auch die FIFA will den Videobeweis.
Borussia Mönchengladbachs Trainer Dieter Hecking kritisiert deshalb auch immer wieder die Kritiker dieses Systems und die ausufernden Diskussionen über dieses Thema. „In Amerika werden viele neue Dinge unter Live-Bedingungen getestet und dann fehleroptimiert. Das akzeptieren die Menschen“, sagte der 53-Jährige in einem Interview der „Bild am Sonntag“. „Deutschland dagegen ist ein Konstrukteurs- und Ingenieurs-Land. Da muss immer alles sofort perfekt sein.“