Tortechnik erlaubt - Regel-Revolution mit Fragezeichen
Zürich (dpa) - Moderne Technik hält Einzug in den Fußball. Torlinientechnologie ist von sofort an erlaubt und soll bei der Club-WM erstmals eingesetzt werden. Doch die Revolution liefert Stückwerk.
Außerhalb der großen FIFA-Turniere ist die Lage weiter unklar. So auch in der Bundesliga.
Nach der größten Regel-Revolution im modernen Fußball tauchte Joseph Blatter ganz schnell ab. Fragen der wartenden Weltpresse zur bahnbrechenden Einführung der Torlinientechnologie wollte der FIFA-Präsident erstmal nicht beantworten und ging zu einem exklusiven TV-Interview in ein Séparée. Die historische Entscheidung steht für sich, meinte Blatter wohl. Doch nach der Sitzung des International Football Association Board (IFAB) in Zürich bleibt weiter vieles im Unklaren.
So ist weiter unsicher, wann und ob die Systeme Hawk-Eye oder GoalRef zur zweifelsfreien Torerkennung in Deutschland zum Einsatz kommen. Plötzlich stehen die nationalen Funktionäre von DFB und DFL unter Entscheidungszwang. „Aus Sicht des DFB ist es ein Schritt in die richtige Richtung, aber Schnellschüsse in der Umsetzung darf es nicht geben. Zur neuen Saison ist eine Einführung absolut unmöglich. Es ist der richtige Weg, den Einsatz der Technik zunächst auf die großen FIFA-Turniere zu konzentrieren“, sagte DFB-Präsident Wolfgang Niersbach.
Auch Liga-Präsident Reinhard Rauball begrüßte zwar das Votum für technische Hilfsmittel, hält aber eine Einführung in der Bundesliga in der kommenden Spielzeit für „absolut ausgeschlossen“. „Das ist ein Schritt in die richtige Richtung, der längst überfällig war. Der erneute Test bei der Club-WM ist im Sinne der Sache. Mit einer Entscheidung mit Wirkung für die nun startende Saison war ohnehin nicht zu rechnen. Der Ligaverband wird sich alsbald im Hinblick auf die Saison 2013/14 mit dem Einsatz der Torlinien-Technologie befassen. Dabei werden die zuständigen Gremien sicherlich auch über die Kosten und deren Trägerschaft sprechen“, sagte Rauball.
Fest steht immerhin: Erstmals sollen Schiedsrichter bei der Club-WM im Dezember in Japan technische Hilfe offiziell in Anspruch nehmen können. Beim Confederations Cup 2013 und der WM 2014 in Brasilien wird das System einem großen, weltweiten Publikum präsentiert - Wembley-Tor-Mythen und Torklau-Schlagzeilen sollen dann endgültig der Vergangenheit angehören.
„Natürlich ist es ein ganz entscheidender Tag für den Fußball. Es wurde jahrelang diskutiert. Nun haben wir eine klare Richtlinie“, sagte FIFA-Generalsekretär Jérôme Valcke. Beide Systeme müssten noch einen „FIFA-Stempel“ als Zertifikat erhalten und ständig auf ihre Tauglichkeit überprüft werden. Blatter sprach im Schweizer Fernsehen von einem „absolut historischen Tag“. „Es gibt keine Pflicht, aber für uns war es ein Muss“, erklärte der Schweizer zur Entscheidung des Regelkomitees.
Die Technik-Verwirrung könnte den Fußball-Fan indes schon bald befallen. In der WM-Qualifikation wird es zum Beispiel keine Schiri-Hilfe geben. Ein Verlierer des Tages ist auch UEFA-Präsident Michel Platini. Sein System mit zwei zusätzlichen Torlinien-Richtern wird zwar weiter geduldet. Doch verweigert Europas Kontinentalverband wie angekündigt die Technikeinführung bei seinen Top-Wettbewerben Champions League und EM, wird das Wehklagen bei der nächsten Fehlentscheidung garantiert noch lauter sein.
Platini ist in der Zwickmühle. Wie die deutschen Fußball-Größen auch. Alle Verbände und Profiligen wie die Bundesliga oder die englische Premier League können selbst über eine Einführung der aufwendigen Systeme entscheiden - müssen aber auch die Kosten in erwarteter Millionenhöhe selber tragen. „Zum DFB kann ich nichts sagen. Der Ball liegt bei ihnen“, sagte Valcke.
Es hatte sich einiges zusammengebraut in Zürich. In der FIFA-Zentrale dauerte die Sitzung des IFAB-Gremiums deutlich länger als geplant. Vor den Türen ging ein kräftiger Hagelschauer nieder, kurz bevor die Entscheidung verkündet wurde. Valcke hatte Mühe zu betonen, dass die Entscheidung nicht den Fußball entzweit und nur die reiche FIFA sich die Technik leisten kann. Und: Weitere Technik werde es im Fußball nicht geben, versicherte Valcke.
Gewinner des Tages sind die Produzenten der Systeme Hawk-Eye und GoalRef. Die aus dem Tennis bekannte Technologie Hawk Eye stammt aus England. Bis zu sechs Kameras nehmen das Spielgeschehen auf und funken Bilder an einen zentralen Computer. Dieser berechnet aus der Bildersumme die Position des Balles und sendet bei einem Tor ein Signal auf die Armbanduhr des Schiedsrichters. Schwachpunkt: Liegt ein Spieler auf dem Ball, können keine Bilder aufgenommen werden. Gekauft wurde das Knowhow kürzlich vom Unternehmen Sony - einem FIFA-Sponsor.
Das Fraunhofer Institut in Erlangen war an der Entwicklung des sogenannten „Intelligenten Tores“ GoalRef maßgeblich beteiligt. Im Torrahmen wird dabei ein Magnetfeld erzeugt. Der Ball enthält drei Magnetspulen. Überschreitet der Ball die Torlinie, wird durch das Magnetfeld im Tor ein Magnetfeld im Ball aktiviert und ein zugeschalteter Computer sendet ein Signal auf die Armbanduhr des Schiedsrichters. Entwickelt wurden spezielle Bälle. FIFA-Sponsor adidas hat großes Interesse.
Blatter hatte sich erst nach den Fehlentscheidungen bei der WM in Südafrika aufgeschlossen gegenüber Technologien gezeigt - nach jahrelangen Diskussionen und Testphasen. Damals war England ein Tor von Frank Lampard gegen Deutschland nicht gegeben worden. „Für uns als FIFA war klar, was 2010 passiert ist, darf sich nicht wiederholen“, sagte der Schweizer am Donnerstag.