BVB „kurz vorm Herzinfarkt“ - Spiel für die Ewigkeit

Dortmund (dpa) - Torhüter Roman Weidenfeller erklomm als erster den Zaun vor der tosenden Südtribüne. Nur Sekunden später folgten seine Mitspieler und eröffneten die rauschende Party-Nacht von Dortmund.

Das Fußball-Wunder gegen Málaga mit dem denkwürdigen 3:2 (1:1) versetzte jeden in Ekstase.

„Wir waren alle kurz vorm Herzinfarkt“, kommentierte Trainer Jürgen Klopp die historische Aufholjagd. Das Spiel für die Ewigkeit erlebte auch Sportdirektor Michael Zorc wie im Rausch: „Das waren die aufregendsten 120 Sekunden meines Lebens.“

Niemand wollte nach Hause, keiner verschwendete einen Gedanken an Schlaf. Nach zwei Treffern in der Nachspielzeit von Marco Reus (90.+1) und Felipe Santana (90.+3) feierten Fans und Profis den ersten Halbfinal-Einzug des BVB in der europäischen Königsklasse seit 15 Jahren. Ungläubig schüttelte Nuri Sahin den Kopf. „Heute war der liebe Gott auf unserer Seite“, sagte der erst in der Schlussphase eingewechselte Mittelfeldspieler, „jeder einzelne von uns wird diese Partie niemals vergessen.“ Zorc pflichtete bei: „Dieses Spiel wird in der Vereinsgeschichte einen festen Platz einnehmen. Es gibt nicht viel Vergleichbares.“

Auch die Proteste der Spanier wegen einer Abseitsstellung beim Siegtreffer konnte die Freude nicht trüben. Die Dramaturgie der magischen Nacht erinnerte an das außergewöhnliche Champions-League-Finale von 1999 in Barcelona, als Manchester United dem FC Bayern beim 2:1 den Titel mit zwei Toren in den Schlussminuten noch entrissen hatte.

Selbst der ansonsten redegewandte Klopp rang in erster Aufregung nach Worten: „Die größten Spiele in der Geschichte des Fußballs sind nicht in Erinnerung geblieben, weil sie so fantastisch waren, und der eine Gegner so total unterlegen war, sondern weil es eng war und es am Ende eine Wendung gab, die man nicht mehr für möglich gehalten hätte.“

Spätestens nach der zweiten Führung der starken Gäste durch den eingewechselten Eliseu (82.) - für das 1:0 hatte Joaquín in der 25. Minute gesorgt - schien die märchenhafte Reise der Borussia durch Europa zu Ende. Zu diesem Zeitpunkt hatte auch Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke alle Hoffnung bereits aufgegeben. „Ich bin fix und fertig. Wir waren ja schon tot.“

Anders als in den bisherigen Spielen und dem 0:0 in Málaga wirkte der BVB auch nach dem zwischenzeitlichen 1:1 durch Robert Lewandowski (40.) lange Zeit gehemmt und suchte vergeblich nach Spielfluss. „Man muss Fußballspiele auch an regnerischen Tagen gewinnen. Heute hat es bei uns sogar richtig geschifft. Wir mussten das Glück erzwingen“, befand Klopp.

Mit ungewöhnlichen Maßnahmen leitete der Coach die Wende ein. Innenverteidiger Santana wurde in die Sturmspitze beordert, die eingewechselten Nuri Sahin und Mats Hummels belebten den Spielaufbau. Zwar mussten die Dortmunder Feingeister in ihrer Not diesmal zur Brechstange greifen, wurden für ihren unbändigen Kampfgeist aber noch belohnt. Nach dem Schlusspfiff begruben sie Matchwinner Santana in einer Menschentraube unter sich. „Es war für uns bislang das wichtigste Spiel, das wir erlebt haben“, schwärmte Santana. „Das war crazy. Erst schieße ich das Tor, und dann springen alle auf meinen Rücken.“

Dagegen saß bei den Spaniern der Frust tief. Trainer Manuel Pellegrini sah in Referee Craig Thomson den Hauptschuldigen für die Niederlage: „In den letzten sieben, acht Minuten war kein Schiedsrichter mehr auf dem Platz“, klagte der Fußball-Lehrer und verwies auf eine Abseitsstellung beim Siegtor der Borussia. Dass es auch bei der 2:1-Führung seiner Mannschaft nicht unbedingt regelrecht zugegangen war, ließ er unerwähnt.

Noch deutlicher wurde der Clubbesitzer. Scheich Abdullah Al-Thani witterte nach dem brutalen Aus eine Verschwörung und scheute auch vor einem Frontalangriff auf die UEFA nicht zurück. „Ja, wir sind vom Beginn der Saison an Ziel der korrupten UEFA“, ereiferte sich der Besitzer des spanischen Clubs und twitterte, „das ist kein Fußball, sondern Rassismus“.

Die Anhänger der skurrilen Verschwörungstheorie verweisen darauf, dass die Europäische Fußball-Union den FC Málaga aus finanziellen Gründen für die Champions League in der nächsten Saison gesperrt hat. Und nun - so wird spekuliert - wolle man den Club nicht im Finale sehen. Al-Thani hofft auf eine gründliche Untersuchung - wird durch seine harsche Kritik aber selbst ins Visier der UEFA geraten, wie Generalsekretär Gianni Infantino erklärte. Málagas Generaldirektor Vicente Casado kündigte derweil eine offizielle Beschwerde bei der UEFA gegen Schiedsrichter Thomson an.

„Wir haben die Gäste aus Málaga als extrem fair erlebt. Deshalb glaube ich nicht, dass irgendjemand ernsthaft erwägt, Protest einzulegen“, kommentierte BVB-Präsident Watzke bei Sky. „Wer mit offenen Augen durchs Leben geht, wird erkennen, dass auch das zweite Tor von Málaga abseits war.“

Nach der zehnten Champions-League-Partie des BVB ohne Niederlage warten Profis, Verein und Fans mit Spannung auf die Auslosung an diesem Freitag und dürfen sich auf mindestens zwei weitere europäische Fußball-Festtage im Halbfinale am 23./24. April und 30. April/1. Mai freuen. Der Thriller gegen Malaga bestärkte Sahin in seinem Glauben an das Finale in Wembley: „Das wird uns auf jeden Fall einen Riesenschub geben. Solche Momente muss man erleben, um einen Titel zu gewinnen.“