Tunnelblick der Bayern für den historischen Triumph
München (dpa) - Der Pott muss her - erst recht dahoam! Das nervtötende Warten auf das Spiel des Lebens ist für die Bayern und ihre Fans kaum noch zu ertragen, eine Niederlage gegen Chelsea im eigenen Stadion geht gar nicht.
„Wir haben den Hunger, den Willen, diesen Pokal zu holen“, verkündete Kapitän Philipp Lahm in der Münchner Arena vor mehr als 200 Reportern aus aller Welt - und da waren es noch 32 lange Stunden bis zum ersehnten Anpfiff.
Am liebsten wäre der ungekrönte Anführer mit seinen Kameraden gleich rausgegangen auf den heimischen Arena-Rasen, um sich mit einer „Riesenfreude“ in die Kraftprobe mit den Chelsea-Stars um Didier Drogba zu stürzen. „Das ist eine historische Chance“, hob Trainer Jupp Heynckes nochmals die Einzigkeit des Heimendspiels hervor.
Der Schmerz der zwei Dortmunder Watschn in Meisterschaft und DFB-Pokal wäre bei einem Triumph am Samstagabend schlagartig weg. Europas Beste zu sein, das würde das Negative überstrahlen. „Natürlich wäre der krönende Abschluss ein Sieg bei uns im Stadion“, erklärte Heynckes. Gedanken an einen dritten Tiefschlag werden aus den Köpfen verbannt: „Wir beschäftigen uns nicht damit.“
Der Tunnelblick der Spieler richtet sich allein auf den Gegner, der ausgespielt und niedergekämpft werden soll. „Es ist wichtig, sich nur auf die 90 Minuten zu konzentrieren. Darauf muss man den Fokus legen“, mahnte Bastian Schweinsteiger.
In der Stadt herrscht Ausnahmezustand. Nur 62 500 Glückliche können die Partie in der Arena verfolgen. Aber beim Public Viewing im Olympiastadion werden 65 000 Fans mitzittern, auf der Theresienwiese wollen 30 000 Bayern-Fans ein rauschendes Oktoberfest im Mai feiern.
„Es wird ein dramatisches Spiel werden“, sagte Stimmungsanheizer Heynckes und erinnerte nochmal an den Halbfinal-Krimi gegen Real: „Wenn wir eine ähnliche Leistung bringen wie in Madrid, dann können wir das Spiel gewinnen.“ Der Respekt vor Chelseas Veteranen-Truppe, gerade auch vor dem „physischen Spiel“ (Lahm) der Engländer, ist gewaltig. „Ich teile die Euphorie draußen nicht, dass der FC Bayern Favorit ist. Wir tun gut daran, bescheiden zu sein“, meinte Heynckes. „Beide Mannschaften begegnen sich auf Augenhöhe“, sagte Lahm.
Die Vorsicht könnte die Spieleröffnung prägen. Heynckes will „erstmal versuchen, unser Gehäuse dicht zu halten“. Mit einem „ultradefensiven“ Barcelona-Bezwinger rechnet er nicht. Trotzdem müssen wohl die Bayern das Geschehen diktieren. „Wir wollen unser Spiel finden, von der ersten Minute an“, sagte Schweinsteiger.
Arjen Robben wird trotz Erkältung spielen können. Und anders als bei der Finalniederlage 2010 gegen Inter Mailand (0:2) ist die Münchner Flügelzange beim zweiten Versuch komplett. „Franck Ribéry kann ein entscheidender Faktor sein“, bemerkte Schweinsteiger über den gegen Inter gesperrten Franzosen. Auch Tormaschine Mario Gomez, der damals nur als Joker zum Zuge kam, taugt als Matchwinner. Schon auf dem Weg ins Finale traf er zwölfmal. „Jetzt ist der Glaube in der Mannschaft an den Titel viel größer als vor zwei Jahren“, sagte Lahm.
Elf Jahre nach dem Titanen-Triumph gegen den FC Valencia im Mailänder Elfmeterkrimi ist der 19. Mai wieder ein guter Tag, um Geschichte zu schreiben. Schon beim Abschlusstraining am Freitagnachmittag feuerten Bayern-Fans ihre Lieblinge lautstark an. „Es ist der größte Titel im Vereinsfußball, den will man natürlich gewinnen“, erklärte Lahm beschwörend. Die Stadt hat für Sonntag bereits einen Autokorso vom Vereinsgelände zum Marienplatz geplant - um 14.00 Uhr würde die Triumphfahrt starten.
Ihre elf Besten können beide Finalisten nicht aufbieten. Schuld daran sind jeweils drei Gelbsperren auf beiden Seiten. Chelsea muss zudem auf Kapitän John Terry verzichten, der im Halbfinal-Rückspiel gegen den FC Barcelona „Rot“ sah. Beide Trainer treffen die Ausfälle hart. Heynckes muss in der Abwehrkette Holger Badstuber und David Alaba durch Anatoli Timoschtschuk und Diego Contento ersetzen. Dazu fehlt Luiz Gustavo als Zerstörer neben Schweinsteiger. „Wir können andere Lösungen bieten“, sagte der Mittelfeld-Chef.
Chelseas Interimscoach Roberto Di Matteo, dessen Zukunft ungewiss ist, muss neben Abwehrchef Terry die Ausfälle von Außenverteidiger Branislav Ivanovic und der wichtigen Mittelfeldkräfte Ramires und Raul Meireles kompensieren. Über die Aufstellung wollte er am Freitagabend noch einmal nachdenken.
Aber die von Milliardär Roman Abramowitsch zusammengekaufte Truppe hat in Torwart Cech, Lampard, Mata, Sturridge, Kalou und dem gefürchteten Drogba immer noch genug Asse zur Verfügung. Vor allem der Ivorer will es in seinem möglicherweise letzten Spiel im Chelsea-Trikot wissen. „Wenn wir gewinnen, wird jeder sagen, dass es eine fantastische Saison war“, betonte Drogba und wehrte sich gleich auch noch gegen Schauspielerei-Vorwürfe von Heynckes. „Nein, nein“, so einer sei er nicht.
Drogbas Flug- oder Fußball-Einlagen, die größere Gier, das bessere Kollektiv, die besseren Einzelkönner - vieles kann entscheidend sein. Bayerns größter Pluspunkt aber wird der Heimvorteil sein. „Unser Stadion, unser Platz, unsere Kabine“, zählte Gomez auf. Alle sechs Königsklassenspiele haben sie in dieser Saison in ihrer Arena gewonnen; gegen Manchester City, gegen Neapel, gegen Real Madrid, gegen alle. Es kann jetzt wirklich losgehen!
Die voraussichtlichen Aufstellungen:
FC Bayern München: Neuer - Lahm, Boateng, Timoschtschuk, Contento - Kroos, Schweinsteiger - Robben, Müller, Ribéry - Gomez
FC Chelsea: Cech - Bosingwa, Cahill, Luiz, Cole - Mikel, Essien - Lampard - Kalou, Mata - Drogba
Schiedsrichter: Proença (Portugal)