Spobis Der deutsche Fußball auf der Suche nach Zukunft
Der deutsche Fußball hat enorme Konkurrenz aus dem Ausland. Wie also mithalten? In Düsseldorf diskutieren die Handlungsträger der Bundesliga kontrovers.
Düsseldorf. Fußball als virtuelle Realität, digitale Analyseportale, Medien-Dienstleister für die Revolution im Internet und Startups im Überfluss, die alle ihre Teile des großen Fußballkuchens anknabbern wollen. Uli Hoeneß und Clemens Tönnies mussten sich als Urgesteine des deutschen Fußballs etwas aus der Zeit gefallen fühlen, als sie am Dienstagmorgen den Messe-Parcour in Düsseldorf-Stockum bewältigt hatten und ihnen nun der Moderator auf dem Spobis-Kongress in Düsseldorf die Zahlen des europäischen Fußballs um die Ohren schlug. Unter dem Strich mit enteilten und „stinkreichen“ englischen Clubs, die 50 Prozent der Top100-Fußballer auf der Welt in der Premier League beschäftigen - und deshalb die Zukunft für sich beanspruchen könnten, hieß es.
Für einen wie Hoeneß ist das blutdrucktreibende Provokation. Das habe ja nun im vergangenen Jahr noch ganz anders ausgesehen, sagte der Bayern-Präsident. Und in ein, zwei Jahren sei das auch wieder anders: „England hat jetzt viel mehr Geld zur Verfügung. Allein durch die Fernsehgelder und diverse Clubbesitzer“, sagte Hoeneß und prophezeite: „Das hält nicht ewig an, die nächsten Verhandlungen mit den Sendern laufen anders." In Italien habe TV-Gigant Sky gerade schon „200 Millionen Euro weniger geboten als beim letzten Mal“. Und ohnehin fehle ihm bei dem ganzen Zahlensalat die Empathie für den Fan. Ohnehin wandle sich alles immer wieder: „Wir hatten im Oktober 2017 die Wachablösung im deutschen Fußball durch Leipzigs junge Mannschaft. Und jetzt haben wir 16 Punkte Vorsprung.“
Von der Entwicklung des Fußballs als betriebswirtschaftliches Spektakel will Hoeneß wenig wissen. „West Bromwich Albion macht 100 Millionen Umsatz, 90 Millionen kommen aber vom Fernsehen. Barcelona kauft zwar für 300 Millionen Stars, kann sein Stadion aber seit Jahren nicht renovieren, weil keine Bank Geld gibt. Mich interessiert nicht der Umsatz, mich interessiert der Ertrag“, rechnete Hoeneß vor. Und legte nach: „Italien hat nie in die Infrastruktur investiert, viel zu hohe Eintrittspreise - und jeder zweite Verein gehört einem Chinesen.“ Schalkes Aufsichtsratsvorsitzender Tönnies, ein Hoeneß-Freund, lobte eilfertig die deutsche Volkswirtschaft: „Die floriert, und das wirkt sich auf Zuschauer und die Kanäle aus. Ich sehe den Zenit in Deutschland noch lange nicht erreicht.“
Das mag ganz bodenständig und sympathisch klingen, womöglich werden Traditionalisten aber von bitterer Realität überholt, in der Internet-Giganten mittelfristig die Macht im Fußballgeschäft neu ordnen. Tönnies gestand am Dienstag selbst ein, den Status als Deutschlands letzter eigenständiger Verein im Profifußball nur noch so lange aufrechterhalten zu können, wie „wir auf Schalke erfolgreich arbeiten können“. Und Hoeneß führte seine Ausführungen, den englischen Fans hingen die „ganzen Investoren zum Halse heraus“ gleich wieder ad absurdum: Und zwar mit seinem Ratschlag an Borussia Dortmund: „Wenn der BVB bald mal wieder zwei Jahre in der Champions League jeweils 40 bis 50 Millionen Euro verdient und der ein oder andere vernünftige Investor hinzu kommt, dann werden sie auch schnell in anderen Bereichen erfolgreich sein.“
So hat der Blick in die Zukunft im deutschen Fußball auch viel mit verweigerter Anerkennung von Realität zu tun. Berlins Manager Michael Preetz konnte sich am Dienstag zum Beispiel auf keinen Fall vorstellen, dass Hertha BSC in zehn Jahren „200 Millionen Euro für eine Transfer“ ausgeben werde. Und Ex-Nationalspieler Marcell Jansen sagte ob der „vielen perversen Entwicklungen im Fußball“, dass er sich die Romantik im Fußball nicht nehmen lassen wolle: „Man schläft weiter in der Fan-Bettwäsche.“
Borussia Mönchengladbachs Sportdirektor Max Eberl sieht das derweil etwas reflektierter: „Der Blick über den Tellerrand des Clubs hinaus ist wichtig. Wir haben die Verantwortung, dass die deutsche Liga erfolgreich bleibt“, sagte Eberl in Düsseldorf und präsentierte eine gewisse Lust auf sportliche Reglementierung des Wettbewerbs, indem er mit jüngst geäußerten Vorschlägen von Uefa-Präsident Aleksander Ceferin sympathisierte: „Warum nicht Kadergrößen auf 25 Spieler reglementieren und Gehaltsobergrenzen einführen? Und wenn die überschritten werden, muss man enorme Strafe zahlen. Das ist zu überlegen“, sagte Eberl zum Messen etwa mit der englischen Liga, die allein in dieser Saison 1,85 Milliarden Euro TV-Geld erlöst hat. Im Vergleich: Die deutsche Liga verdiente 220 Millionen Euro, die spanische Liga 600 Millionen.
Für den HSV-Vorsitzenden Heribert Bruchhagen hat das auch historische Gründe: Die „fehlende Kolonialzeit Deutschlands“ spiele eine Rolle. Außerdem seien England und Spanien mit ihrer Sprache leichter an die Weltbevölkerung zu binden. Bruchhagen: „Die exorbitante Steigerung der TV-Erlöse ist nicht unser erstes Ziel. Wir müssen unsere Liga stärken und die Attraktivität durch Konkurrenz erhalten.“ Einig waren sich alle, dass ein Abonnementsmeister FC Bayern auf Dauer nachhaltig schade. „Wir müssen uns bemühen, die Lücke zu schließen. Aber wir wollen den Fan auch mitnehmen, das ist der schmale Grat“, sagte Oliver Mintzlaff, Geschäftsführer von Red Bull Leipzig. „Wir brauchen keine Stimmung wie in den Stadien in England.“ Das wiederum würde auch ein Uli Hoeneß abnicken.