DFB-Pokal Lotte im Spagat zwischen Profitum und Provinz
Nach Siegen gegen Werder Bremen (2:1), Bayer Leverkusen (4:3 im Elfmeterschießen) und 1860 München (2:0), treffen die Sportfreunde Lotte am 28. Februar im Viertelfinale des DFB-Pokals auf Borussia Dortmund.
Lotte. Unmittelbar nach dem Spiel verschwand Ismail Atalan in der Kabine. Der Lotter Trainer wollte seine Ruhe haben, allein sein. Dabei hatte seine Mannschaft gerade mit dem 2:0-Sieg gegen den TSV 1860 München nach dem Drittligaaufstieg den größten Erfolg der Vereinsgeschichte und den Einzug ins Viertelfinale des DFB-Pokals geschafft.
In der Runde der letzten Acht wartet mit dem BVB ein weiterer Kracher auf die Sportfreunde Lotte. „Auch gegen Dortmund sind wir nicht chancenlos. Wir spielen auf Sieg“, beteuert Atalan. Wie immer. Diese Einstellung hat er seinen Leuten eingeimpft. Mit diesem Willen gehen seine Spieler auf den Platz. Das war gegen Werder Bremen (2:1), Bayer Leverkusen (4:3 im Elfmeterschießen) und gegen die „Löwen“ so, und das wird gegen Dortmund nicht anders sein. „Das ist ein richtig geiles Los“, sagt Kapitän Gerrit Nauber und schickt gleich eine Warnung hinterher: „Wenn wir einen guten Tag haben, hat es jeder Gegner schwer, gegen uns in die Zweikämpfe zu kommen.“
Die Partie findet am 28. Februar statt und wird live in der ARD übertragen. Ob das Spiel im 10 000 Zuschauer fassenden Frimo-Stadion stattfindet, ist nicht klar. Wegen des zu erwartenden Medienaufkommens und des Zuschauerinteresses könnte eine andere Arena in Frage kommen. Bielefeld und Bremen sind die nächst größeren Stadien. Das Heimrecht kann laut DFB-Statut grundsätzlich nicht getauscht werden.
Lottes Obmann Manfred Wilke weiß von nichts. „Darüber habe ich noch nicht nachgedacht. Aber auswärts sind wir nicht die schlechtesten“, betont der starke Mann der Sportfreunde, der den richtigen Riecher hatte, als er im Januar 2015 Atalan verpflichtete. Der war als Trainer beim westfälischen Oberligisten SC Roland Beckum ein unbeschriebenes Blatt. Die Skepsis überwog. Jetzt hat er dem Klub aus der 14 000-Einwohner-Gemeinde vor den Toren Osnabrücks zu bundesweiter Popularität verholfen. War Lotte zuvor nur von den Staumeldungen am Autobahnkreuz bekannt, so genießt der Klub nun bundesweite Anerkennung. In der Liga als erster Abstiegskandidat gehandelt, steht der Neuling auf einem guten siebten Platz.
Atalan ist ein Fußballverrückter. Kümmert er sich mal nicht um seine Mannschaft, entspannt er bei seiner Familie. „Ich bin keiner, der gerne feiert und im Mittelpunkt steht. Wenn ich zu Hause bei meiner Frau und meinen Kindern bin, dann ist das für mich so wie für meine Spieler, wenn sie in die Disko gehen.“ Dieser Satz sagt vieles über den 36-Jährigen, der zurzeit einen Teil seiner Energie für die Fußballlehrer-Lizenz aufwendet. Eine Doppelbelastung, die dem Erfolgsweg des Drittligisten nicht im Wege steht. Lotte hat den Spagat zwischen Profitum und Provinz gut gemeistert. Die Aufstiegsmannschaft, die sich gegen Waldhof Mannheim (0:0/2:0) durchsetzte, ist zusammengeblieben. Der Trainer baute Spieler ein, die bei anderen Vereinen keine Chancen hatten, und formte junge Leute, die es ihm mit Leistung dankten. Die Sportfreunde spielen attraktiven Fußball, bevorzugen Angriffspressing in einem 4 — 3 — 3 —System. „Wir wollen und können jedes Spiel gewinnen, egal, wie der Gegner heißt, egal, in welchem Wettbewerb. Mentalität schlägt sportliche Qualität“, lautet Atalans Credo.
Aber es ist nicht nur das Auftreten der Mannschaft und des Trainers, die den Verein so sympathisch erscheinen lassen. Alle im Klub halten zusammen. Es ist ein kleines, familiäres Biotop im großen Fußball-Business. Als vor der Saison die Osttribüne gebaut wurde, packten Fans, Sympathisanten und Vorstandsmitglieder mit an. Sogar Torwart Benedikt Fernandez half beim Steineverlegen. Obmann Wilke ist dafür bekannt, dass er persönlich den Rasen mäht und viele andere handwerklichen Tätigkeiten im Stadion verrichtet. Als das Spiel gegen 1860 München wegen des erneuten Wintereinbruchs auf der Kippe stand, wurden kurzerhand per Facebook Helfer mobilisert. Gut 100 kamen mit Schneeschiebern und räumten den Platz. „Das war schon ein Erlebnis, innerhalb einer so kurzen Zeit so etwas auf die Beine zu stellen. Es zeigt, dass bei uns alle an einem Strang ziehen“, freut sich der sonst eher etwas knorrige Obmann Wilke.
2,4 Millionen Euro haben die Pokalzauberer des Dorfvereins bisher verdient im Pokal. Dazu kommen Anteile an Eintrittsgeldern und Catering-Einnahmen. Ein Teil des Geldes wird in Infrastrukturmaßnahmen investiert. In der nächsten Saison muss eine Rasenheizung installiert werden. Die Pokaleinnahmen sind fix. Mit anderen Zahlen hält sich der Verein zurück, nichts dring nach außen. Bekannt ist, dass Wilke, der unter anderem ein Ingenieurbüro betreibt, während seines jahrzehntelangen Engagements ein kleines Vermögen in den Klub gesteckt hat. Der Etat wird außerdem über einen Sponsorenpool finanziert. Aber Geld spielt momentan nicht die große Rolle. Lotte hat ein Stück Fußball-Geschichte geschrieben. Und die soll gegen Dortmund um ein weiteres Kapitel erweitert werden.