Elfmeterkiller Taffarel: „Mutig wie ein Löwe“
Stuttgart (dpa) - Torhüter waren häufig ein Schwachpunkt in Brasiliens Nationalmannschaft. Cláudio Taffarel gehört zu den rühmlichen Ausnahmen.
Er kann sich an die Schlüsselszene auch 20 Jahre später noch genau erinnern. „Mmmh, nervös!? Nein, das ist das falsche Wort“, schilderte der Torhüter Brasiliens seine riesengroße Anspannung beim Eins-gegen-Eins-Duell gegen Daniele Massaro im entscheidenden Elfmeterschießen gegen Finalgegner Italien. „Und Gott sei Dank hielt ich gegen Daniele Massaro, mit Abstand der wichtigste Elfer meiner Karriere.“ Brasilien holte den WM-Titel 1994 durch einen 3:2-Erfolg über die Azzurri - und Taffarel hatte entscheidenden Anteil daran. Schließlich konnten auch Franco Baresi und zum Schluss Roberto Baggio nicht verwandeln.
Als „Elfmeterkiller“ machte sich der Blondschopf aber noch in weiteren wichtigen Länderspielen einen Namen. Das musste auch die deutsche Fußball-Nationalmannschaft bei den Olympischen Spielen 1988 schmerzhaft erfahren. Jürgen Klinsmann, Wolfram Wuttke und Olaf Janßen scheiterten im Halbfinale allesamt an Taffarel. Dabei hatte der damals 22-Jährige keine Informationen über Vorlieben der Schützen. „Ich wusste gar nichts, nicht einmal die Namen des Gegners“, sagte er in einem Interview der Online-Ausgabe des Fachmagazins „11Freunde“.
„Eine der besten Partien, die ich je gespielt hatte“, urteilte Taffarel. Das will etwas heißen bei 101 Länderspielen - andere Quellen sprechen von 113 - für die „Seleção“ bei nur 75 Gegentoren. Und auch die Niederländer verzweifelten an den Elfer-Qualitäten des „blonden Zauberers“, so sein naheliegender Spitzname wegen der blonden Haare. Im WM-Halbfinale 1998 sorgte Taffarel mit seinen zwei gehaltenen Elfmetern gegen Ronald de Boer und Phillip Cocu für den Einzug ins Endspiel. Dies ging allerdings glatt mit 0:3 gegen Gastgeber Frankreich verloren.
Von insgesamt 46 Strafstößen parierte Taffarel 14, eine Quote von über 30 Prozent. Eine exakte Erklärung für diese besondere Qualität hat der Sohn eines Italieners und einer Deutschen nicht. Vielleicht habe er davon profitiert, als Kind lange Volleyball gespielt zu haben, mutmaßte er. „Beim Elfmeter gibt es ein Geheimnis, das auch ich nicht erklären kann“, sagte Taffarel. Viel hänge auch von der Intuition ab.
Aber nicht nur wegen dieses Killerinstinkts zählt Taffarel zu den stärksten Torhütern in Brasiliens Fußball-Geschichte. Dessen großes Talent beschrieb der damalige Nationaltrainer Sebastião Lazaroni, der ihn bei der Copa America 1989 und ein Jahr später bei der WM zum Stammkeeper beförderte: „Cláudio gehört bereits jetzt zu den besten Torhütern, die unser Fußball je hervorgebracht hat. Der Bursche besitzt eine hervorragende Sprungkraft, er ist mutig wie ein Löwe, und er ist durch nichts aus der Ruhe zu bringen.“ Da Lazaroni früher selbst Schlussmann war, besaß dieses Lob noch mehr Bedeutung.
Kein Wunder, dass auch europäische Spitzenclubs auf Brasiliens Fußballer des Jahres 1988 aufmerksam wurden. Nach der WM 1990 verpflichtete ihn der AC Parma. Da er bei den Italienern seinen Stammplatz verlor, wechselte der nur 1,80 Meter große Taffarel 1993 zum AC Reggiana, um „meine WM-Nominierung nicht zu gefährden“. Nach dem Titeltriumph zog es ihn mit 28 Jahren wieder in sein Heimatland zu Atlético Mineiro zurück.
1998 ging er als Vizeweltmeister für 5,7 Millionen Mark wieder nach Europa zu Galatasaray Istanbul. Mit dem türkischen Top-Club feierte Claudio André Mergen Taffarel, wie der am 8. Mai 1966 in Santa Rosa geborene Spieler mit vollem Namen heißt, die größten Vereinserfolge: zweimal Meister, zweimal Pokalsieger (jeweils 1999 und 2000), erster türkischer UEFA-Pokal- und UEFA-Super-Cup-Gewinner (jeweils 2000). In der Türkei genoss der „blonde Zauberer“ Kultstatus. Und auch er selbst hat eine enge Beziehung zu der Millionenmetropole am Bosporus. Dies bestätigen seine Engagements als Torwarttrainer bei Galatasaray 2004 und wieder seit 2011.