Balotelli hat mit Neuer eine Rechnung offen
Warschau (dpa) - Bei ihrem letzten EM-Duell trieb Manuel Neuer den Italiener Mario Balotelli schier zur Verzweiflung. „Super Mario“ hätte heulen können. 90 Minuten lang ballerte der exzentrische Kicker im Halbfinale der U-21-EM 2009 auf das deutsche Tor, aber der DFB-Keeper parierte alles.
Am Ende gewannen Deutschlands Junioren 1:0 und holten im Finale gegen England den Titel. Drei Jahre später will Italiens launischer Stürmerstar im EM-Halbfinale von Warschau seine Revanche.
Nach seiner herausragenden Leistung im Viertelfinale ist der 21-Jährige gegen das Team von Jogi Löw gesetzt. Seine Kritiker sind verstummt. Der ungewohnt disziplinierte Auftritt und der sicher verwandelte erste Elfmeter gegen England haben beeindruckt. „Balotelli hat mir sehr gut gefallen“, lobte Trainer Cesare Prandelli sein Enfant Terrible. Allen Warnungen zum Trotz hat er immer an ihm festgehalten.
Eigentlich sei Balotelli „ein Goldjunge“, sagte der 54-Jährige im Casa Azzurri über seinen schwierigsten Spieler, den er nach Eskapaden mit väterlicher Nachsicht in Schutz nimmt, bei Fehlern auf dem Platz aber streng ermahnt: „Beim Abschluss muss er konzentrierter und kaltschnäuziger sein“, forderte der Coach.
In zwölf Länderspielen hat der Stürmer von Manchester City erst zwei Tore gemacht - beide in Polen. Erst traf er im Freundschaftsspiel vor einem Jahr gegen Polen, dann mit einer akrobatischen Einlage zum 2:0 im letzten EM-Vorrundenspiel gegen Irland. Mit etwas mehr Glück und Geistesgegenwart hätte der Kicker mit dem Hahnenkamm bei dieser EM aber locker schon vier Tor erzielen können.
An Talent mangelt es Balotelli wahrlich nicht. Die Schusskraft des 1,89 großen Angreifers ist gewaltig. Und trotz seiner enormen Kraft, ist der bullige Fußballer im Strafraum flink und wendig. Mit 21 Jahren hat er bereits acht Titel gewonnen - fast so viele wie Deutschland fleißigster Titelsammler, der 27-jährige Bastian Schweinsteiger (10). Bereits mit 17 Jahren debütierte Balotelli in der Serie A bei Inter, mit dem er dreimal Meister, Champions-League-Sieger gegen die Bayern, Supercup-Gewinner und italienischer Cupsieger wurde. Mit Manchester City holte er in dieser Saison Pokal und Meisterschaft.
Eine erfolgreiche Revanche gegen Neuer und ein Einzug ins EM-Finale könnten zu Meilensteinen in Balotellis turbulenter Karriere werden. Der „Corriere dello Sport“ berichtete, dass Meister Juve bereits seine Fühler nach dem größten Talent des Calcio italiano ausgestreckt hat. Balotelli ist Rummel um seine Person gewöhnt. Das war schon früher so. Als Sohn ghanaischer Immigranten ist er bei einer Pflegefamilie in Brescia aufgewachsen. In einem Interview vor dem EM bezeichnete er sich selbst als „Genie“ und „überdurchschnittlich intelligent“.
Je besser Balotelli spielt, umso mehr rücken italienische und englische Zeitungen seine Eskapaden in den Hintergrund und berichten von seinen liebenswerten Seiten. Als Hunderte Kinder nach dem Training in Krakau die Azzurri auf dem Platz umlagerten, schrieb der Fan-Liebling noch als Letzter so lange Autogramme, bis ihn die Betreuer zum wiederholten Mal in die Kabine riefen.
Zusammen mit seinem Bruder Enock blieb er in der Krakauer Innenstadt mit seinem Auto stehen, weil ihm ein Chor spontan auf der Straße ein Ständchen sang. Balotelli hörte strahlend zu und applaudierte den Sängern am Ende.
Prandellis „Goldjunge“ hat aber auch seine Schattenseiten. „Manchmal macht er einfach Dummheiten“, sagte Teamkollege Leonardo Bonucci. Dann zeigt er als „Mad Mario“ sein zweites Gesicht. Das des Spätpubertierenden, der teure Sportwagen zu Schrott fährt, Dartpfeile auf Jugendspieler wirft, seine Freundin mit einem Call-Girl betrügt, mit Mafiosi durch Neapel spaziert und auf dem Platz immer wieder ausrastet. Balotelli polarisiert - und fasziniert. Gegen Deutschland will er sich der Fußball-Welt als disziplinierter Strafraumschreck präsentieren.