Besucherschwund auf den Fanmeilen

Berlin (dpa) - Der Blick von der großen Bühne der Berliner Fanmeile am Brandenburger Tor ist beeindruckend. Tausende junge Fußball-Fans in weißen Trikots und mit schwarz-rot-gelbem Körperschmuck jubeln, grölen und kreischen.

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Sie schwenken Fahnen, Fähnchen und rote Schals eines Limonadenherstellers. Während der ersten drei EM-Spiele der deutschen Mannschaft war die Stimmung zum Teil überschäumend. Zumindest vorne an dem ersten großen Bildschirm.

Schon ab dem zweiten Videoschirm bot die Straße des 17. Juni in der Nähe des Reichstags während der Deutschland-Spiele viel Platz. Fangruppen saßen auf dem Boden und verfolgten das Spiel. Der größte Teil der 1100 Meter langen Fanmeile war fast leer. Die Stimmung in vielen Bierbuden und Bratwurstständen näherte sich während der ersten Spiele dem Tiefpunkt, kaum etwas wurde verkauft. Zwar sprachen die Veranstalter von 100 000 Besuchern über den gesamten Dienstag, realistische Schätzungen gehen aber eher von 10 000 bis 15 000 Fans während des Spiels aus.

Nicht nur die Berliner Fanmeile leidet bei dieser Europameisterschaft unter deutlichem Besucherschwund. Auch in anderen Städten stöhnen Betreiber und Verkäufer. Die großen Zeiten der Fanmeilen und Mega-Fanfeste scheinen vorbei.

Alice Kilger von der Pressestelle des Olympiaparks in München beobachtet seit Jahren weniger Zuschauer. „Das Interesse geht zurück“, sagt sie. Bei der Weltmeisterschaft 2006 im eigenen Land war der Ansturm noch enorm. Bis zu einer Million Besucher kamen insgesamt bei allen Spielen. Zur EM 2008 waren es bei nur drei Spielen im Schnitt 29 000 Besucher. 2010 zur WM kamen 24 000 Menschen pro Spiel, 2012 und 2014 verfolgten nur noch 16 000 Fans die Deutschland-Spiele. Für dieses Jahr sei es für eine erste Bilanz noch zu früh.

Beim Public Viewing am Nürnberger Flughafen ließen sich bislang jeweils 2500 bis 3000 Menschen blicken, in der Vergangenheit waren es auch in der Vorrunde 15 000 bis 20 000. Veranstalter Christopher Dietz sagt: „Wir hatten zweimal Mega-Landunter und wettertechnisch eigentlich noch nie die Voraussetzungen für ein vernünftiges Public Viewing.“ Er hofft nun auf die K.o.-Runde und Sonnenschein.

Auf der Berliner Fanmeile schien meist die Sonne. Ein Händler, der einen Getränke- und einen Grillstand betreibt, investierte nach eigenen Angaben 30 000 Euro. Bislang mache er nur Verluste, sagte er beim dritten Deutschland-Spiel gegen Nordirland. Einer seiner Verkäufer meinte: „Wir müssten 1500 Euro Umsatz am Tag machen, um unseren Einsatz wieder reinzuholen. Heute haben wir bislang 70 Euro an Getränken umgesetzt.“

Zwei junge Männer stehen hinter ihrem Getränkestand und sagen sarkastisch: „Wir zahlen viel Geld fürs Fußballgucken.“ Der Stand ist verwaist, die Lage sei „gruselig“. Ein Handbrot-Verkäufer an der hintersten Leinwand nennt seinen Umsatz eine „Katastrophe“. Bis zum Anpfiff am Dienstagabend verkaufte er nur zwölf Portionen.

Wer nach Ursachen für die schwindende Beliebtheit der Fanmeilen sucht, wird schnell fündig. Im Sommer draußen sitzen und Fußball gucken, das war bei den Weltmeisterschaften 2002 und 2006 noch schwierig. Fußballfans kämpften in den wenigen Biergärten mit großen Leinwänden Stunden vor dem Anpfiff um Plätze. Erst zur WM 2006 kamen Flachbildschirme auf, damals noch richtig teuer. Das änderte sich in den folgenden Jahren. Die Bildschirme wurden immer billiger, immer besser und immer größer. Dazu kamen bezahlbare Beamer.

In Großstädten wie Berlin wird in Kneipenkiezen alle paar Meter das abendliche Fußballspiel übertragen. Doch nicht nur Kneipen, Biergärten und Clubs zeigen Fußball, auch Kirchen und Kinos. Bildschirme stehen in Dönerbuden und Imbissen. Selbst die „Spätis“, die Berliner Kiosk-Varianten, stellen Flachbildfernseher ins Fenster und zwei Bierbänke draußen davor. Die Flasche Bier kostet einen Euro.

Manches private Wohnzimmer gleicht mit seinem Großbildschirm inzwischen einem kleinen Kinosaal, in dem sich Freunde oder Familie zum Fußballgucken treffen.

Die Münchner Olympiapark-Sprecherin Klinger bestätigt den Trend. Die Auszehrung der Fanmeilen liege in erster Linie am größeren Fußball-Angebot an anderen Stellen, besonders den zahlreichen Biergärten und Bars. Kilger vermutet jedoch auch, dass viele Besucher in diesem Sommer auch wegen erhöhter Sicherheitsbedenken angesichts der Terroranschläge dem Public Viewing fern bleiben.

Das hatte auch eine Umfrage des Instituts Yougov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur vor der EM ergeben: Darin sagten 30 Prozent der an Fußball interessierten Erwachsenen, sie wollten aus Furcht vor Anschlägen öffentliche Plätze meiden und die Spiele nicht auf Großleinwänden verfolgen.

Ein 52-jähriger Familienvater gab auf der Berliner Fanmeile zu, er habe beim Anstehen an den Sicherheitskontrollen schon ein mulmiges Gefühl gehabt. Beim Abtasten durch die Wachleute werde einem nochmal bewusst, dass es gar nicht so selbstverständlich sei, so zu feiern, sagte er. „Aber wenn man das hinter sich hat, dann ist alles gut.“