Cassano-Eklat bei Italien - Angstgegner Kroatien hofft
Posen (dpa) - Das schwulenfeindliche Geplapper von Antonio Cassano gefährdet Italiens Einzug ins Viertelfinale der Fußball-EM. Der Eklat hat die Konzentration der Azzurri auf das wegweisende Gruppenspiel gegen Angstgegner Kroatien empfindlich gestört.
Schwulen-Vertreter fordern den EM-Ausschluss des Enfant Terrible, Politiker sprechen von „Schande“, und die Tifosi rätseln, welche Nationalspieler homosexuell sein könnten. Der liberale Coach Cesare Prandelli rauft sich die Haare. „Am besten ist es, nur auf sportliche Fragen zu antworten“, sagte der Trainer am Mittwoch freundlich lächelnd, aber bestimmt, als er zu Cassano befragt wurde. Vor dem „entscheidenden Spiel“ am Donnerstag in Posen (18.00 Uhr) kommt die Affäre zur absoluten Unzeit - zumal die Herausforderung gegen die Kroaten groß ist, die Prandelli vor allem durch ihre „außergewöhnliche Intensität“ beeindrucken.
Der Tabellenführer wittert dagegen die große Chance. „Treten wir wie gegen Irland auf, gewinnen wir ganz sicher“, sagte Trainer Slaven Bilic. Mittelfeldmann Niko Kranjcar tönte gar: „Wir können gegen jedes große Team bestehen.
Cassano bemühte sich, die Wogen zu glätten und entschuldigte sich. „Das tut mir aufrichtig leid. Ich wollte niemanden beleidigen“, erklärte er kleinlaut nach seinem verbalen Eigentor. Er habe nur sagen wollen, dass es ihn nicht betreffe. Schwulenfeindlichkeit aber sei ihm fremd. Im Casa Azzurri klang das zuvor anders: „Ich hoffe, dass keine Schwulen in der Mannschaft sind“, hatte der Milan-Star einem Reporter geantwortet. Der Fußballverband ist peinlich berührt, die Öffentlichkeit empört. „Sturm über Cassano“, titelte die Gazzetta dello Sport (Mittwoch-Ausgabe) vor dem Kroatien-Spiel.
Dank des 29-Jährigen wurde eine in Italien zuvor nur am Rande geführte Diskussion um Homosexuelle in der Nationalelf zum Riesenthema. Aufgebracht hatte sie der schwule Fernsehmoderator Alessandro Cecchi Paone. „Ich hatte eine Beziehung zu einem der Nationalspieler. Und der hat mir gesagt, dass es noch einen Schwulen in der Mannschaft gibt“, hatte Cecchi Paone in dieser Woche gesagt.
Der grandiose EM-Auftakt gegen Spanien (1:1) hatte den Wettskandal gerade in den Hintergrund gedrängt, da herrscht schon wieder Trubel. Prandelli - der jederzeit bereit sei, über Homosexualität im Fußball zu sprechen, „aber nicht gerade in diesen Tagen“ - passt das gar nicht. Schließlich hält er die Kroaten für „gefährlicher, weil unberechenbarer“ als den Weltmeister.
Prandelli setzt auf Kontinuität mit seiner Dreier-Abwehrkette rund um den in die Defensive beorderten Mittelfeldstar Daniele De Rossi. Davor wird wieder Andrea Pirlo Regie führen, dessen Juve-Teamkollege Claudio Marchisio soll Kroatiens Spielmacher Luka Modric stoppen. „Das ist ein ganz Großer“, warnte Cassano - und spricht dabei sogar dem gegnerischen Coach Bilic aus der Seele, der seinen Schützling für „mindestens gleich gut, vielleicht sogar besser“ hält als Pirlo. „Der soll erst mal wichtige Titel gewinnen“, konterte Prandelli.
Im italienischen Angriff könnte Torschütze Antonio Di Natale für Cassano oder den gegen Spanien mit Disziplinlosigkeit, Arroganz und einer vergebenen Riesenchance unangenehm aufgefallenen Mario Balotelli in die Startelf rücken. Den Kroaten scheint das egal zu sein - zumindest Vedran Corluka meinte: „Die Stürmer sind gefährlich, aber wenn wir kompakt bleiben, dürften sie kein Problem werden.“
Die Bilic-Truppe schaut dem Wirbel bei den Azzurri nach ihrem 3:1 gegen Irland ohnehin gelassen und selbstbewusst zu. „Jetzt haben wir zwei Matchbälle gegen zwei Topteams“, verkündete Mannschaftskapitän Darijo Srna vor den Duellen gegen Italien und Spanien. Die Bilanz gegen Italien spricht klar für die Kroaten: Seit ihrer Unabhängigkeit holten sie drei Siege und zwei Unentschieden und verloren noch nie.
Für Torwart Stipe Pletikosa ist der Viertelfinaleinzug schon sicher: „Das zweite Gruppenspiel ist traditionell unser stärkstes“, betonte der Routinier. Bei der WM 2002 schlugen die Kroaten im zweiten Spiel die Italiener, bei der EM 2008 Deutschland.