„Chance unseres Lebens“ - Belgiens große EM-Aussichten
Nizza (dpa) - Die Gesänge der glückseligen belgischen Fans klangen noch weit nach Mitternacht durch die Gassen von Nizza. Eineinhalb Wochen nach dem enttäuschenden EM-Auftakt gegen Italien stehen die Roten Teufel im Achtelfinale der Fußball-EM und können in Frankreich plötzlich ganz weit kommen.
Während sich in der anderen Turnierhälfte die Topfavoriten Deutschland, Frankreich, Spanien und Italien untereinander das Leben schwer machen, warten auf die Belgier auf dem Weg ins Halbfinale zunächst am Sonntag die Ungarn und danach der Sieger des Überraschungsduells Wales gegen Nordirland.
„Mit unserem Talent müssen wir mindestens unter die letzten vier kommen“, sagte Nainggolan. Der Mittelfeldspieler warnte aber auch vor Übermut gegen Ungarn: „Vom Papier her sind wir Favoriten, aber das waren die Portugiesen in ihrer Gruppe auch.“ Die Ungarn waren nach dem Remis gegen Portugal überraschend Erster der Gruppe E geworden.
Trainer Marc Wilmots ist mit dem Gegner nur bedingt zufrieden. „Ehrlich gesagt spiele ich lieber gegen England oder Spanien“, sagte der Coach. Das Spiel der Ungarn gegen Portugal (3:3) habe er gesehen und festgestellt: „Die haben echt gut gespielt.“
„Das ist die Chance unseres Lebens“, sagte Belgiens Torwart Thibaut Courtois nach dem 1:0 gegen Schweden, durch das sich die Belgier Platz zwei in der Gruppe E sicherten. „Das Tableau ist offen, wir treffen auf keine Top-Länder“, meinte der Keeper des FC Chelsea. Stand die hochgelobte Generation um die Offensivstars Kevin de Bruyne, Eden Hazard und Romelu Lukaku zu Beginn der EM noch heftig in der Kritik, soll sie nun ein tief gespaltenes und vom Terror erschüttertes Land glücklich machen.
„Jetzt beginnt ein komplett neues Turnier“, sagte Wilmots. Dem früheren Schalker war die Genugtuung über den Sprung in die K.o.-Runde deutlich anzumerken. Und die Aussicht, es seinen Kritikern gegen vermeintlich schlagbare Gegner weiter zu zeigen, genoss Wilmots auf dem Podium des Presseraums im Stade de Nice sichtlich. „Viele dachten nach dem ersten Spiel, dass wir tot sind. Aber wir sind wieder in der Spur“, sagte Wilmots.
Allerdings wird sich sein Team weiter steigern müssen, will es die günstige Ausgangsposition nutzen und erstmals seit Einführung der K.o.-Phase bei Europameisterschaften das Halbfinale erreichen. Gegen wacker kämpfende, spielerisch aber stark limitierte Schweden reichten de Bruyne und Co. eine kompakte Defensive und ein Geniestreich von Radja Nainggolan zum Sieg. „Sechs von neun Punkten, das ist sehr gut“, sagte Wilmots dennoch erfreut.
In den nächsten Tagen gilt es nun, die Akkus aufzuladen und die Sinne für das Achtelfinale gegen Ungarn zu schärfen. Auch wenn die Mannschaft des deutschen Trainers Bernd Storck vor dem Turnier sicher ein Wunschgegner der Belgier gewesen wäre - ein Selbstläufer wird das Duell in Toulouse am Sonntag (21.00 Uhr) nicht.
„Ungarn ist nicht umsonst Gruppenerster geworden“, sagte Courtois. Und Chelsea-Kollege Hazard warnte: „Sie geben immer 200 Prozent.“ Doch die Chance, dem Ruf der Goldenen Generation gerecht zu werden, ist so groß wie nie. Jetzt müssen sie die Belgier nur noch nutzen.