Der Torjubel: Ausziehen, Wegrennen, Rumrutschen

München (dpa) - Klar, mit einem Küsschen oder einem mit den Händen geformten Herz ist die Botschaft ziemlich eindeutig. Warum ein Fußballer, der gerade Vater geworden ist, nach einem Tor den Daumen in den Mund steckt, versteht sich auch von selbst.

Foto: dpa

Wenn er nach einem Disput mit dem Coach erst trifft und dann zur Trainerbank läuft, ist die Absicht ebenfalls klar. Doch auf dem Spielfeld gibt es typische Arten von Torjubel, die eher Fragen aufwerfen. Ein paar Beispiele - und Versuche von Wissenschaftlern, die Phänomene zu erklären:

ANSPRINGEN: Dass sich erwachsene Männer gegenseitig anspringen, kommt im Alltag eher selten bis gar nicht vor. Im Stadion ist es allerdings eine typische Geste der Verbundenheit, wie Professor Uwe Wilkesmann vom Lehrstuhl für Organisationsforschung an der Technischen Universität Dortmund sagt. „Man will mit dem Torschützen verbunden sein.“ Nach Meinung von Sportpsychologe Professor Darko Jekauc von der Berliner Humboldt-Universität zeigt das Anspringen eine besondere Eingespieltheit zwischen den Mitspielern. „Das sieht man häufig auch beim Tennis bei einem erfolgreichen Doppel“, sagt der Forscher.

HAUFENBILDEN: Die ultimative Steigerung ist der fleischgewordene Haufen, wenn Männer sich zu einem Berg türmen - meist begraben sie dabei gewissermaßen den Torschützen. Das Signal: „Wir halten absolut zusammen und lassen uns nicht auseinanderbringen.“ Ein starkes Signal auch an den Gegner, wie Jekauc erklärt. Dass die Mitspieler mit dem erfolgreichen Mannschaftskameraden verbunden sein wollen, ist aus Sicht von Wilkesmann ein Ausdruck für den Teamsport und -geist.

WEGRENNEN: „Für einen Augenblick wollen sie alleine im Fokus stehen“, mutmaßt Jekauc über die Wegrenner. Absolut nicht vorstellbar ist die Reaktion hingegen etwa nach einer Beförderung im Büroalltag. „Das ist kein natürlicher Reflex“, sagt der Sportwissenschaftler. „Sonst geht man eigentlich aufeinander zu.“ Manchmal stecke hinter dem Wegrennen vielleicht auch eine Ansage etwa zum Aufbruch. So könne der Schütze einer Mannschaft, die hinten liegt und gerade den Anschlusstreffer erzielt hat, sagen wollen: „Jetzt drehen wir das Spiel!“

RUTSCHEN: Das Rutschen zählt laut Theaterwissenschaftler André Studt von der Universität Erlangen-Nürnberg zu den neueren Varianten des Jubels. „Gerd Müller hüpfte immer. Eine vertikale Bewegung, mit der man sich größer macht.“ Rutschen hingegen sei eine horizontale Bewegung. Eine Entwicklung, die der Experte auch beim Tanz sieht: Während das klassische Handlungsballett vertikal organisiert sei, gingen Tänzer bei moderneren Formen wie dem Contemporary in die Horizontale - und rollen oder rutschen über den Boden. Außerdem sieht Studt in den Bauchklatschern eine Parallele zum Stagediving von Musikern, die sich bei Konzerten von der Fanmenge tragen lassen.

AUSZIEHEN: Dass sich Torschützen mitunter das Trikot vom Leib reißen erklärt Studt mit der Körperlichkeit des Sports - sie stellen ihr „Werkzeug“ zur Schau. Damit einher gehe eine gewisse Paradoxie: „Sexualität spielt eigentlich keine Rolle, Homosexualität gilt als Tabuthema - und doch präsentieren Männer voreinander stolz ihre Muskeln.“ Dass es dafür nach den gültigen FIFA-Regeln die gelbe Karte gibt ist aus seiner Sicht ein Ausdruck der Rücksichtnahme auf kulturelle Differenzen. Sportpsychologe Jekauc hat noch eine weitere Vermutung, warum Spieler sich ausziehen: „Dann hat man etwas zum Schwingen in der Hand und kann beim Publikum Rhythmus erzeugen.“