Siegenthaler Der Zufall spielt in seiner Arbeit keine Rolle

Nach Scholls Anfeindungen fragen sich viele, wer ist Urs Siegenthaler überhaupt — Der Chefscout ist unantastbar.

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Seit dem unvermittelten Seitenhieb von TV-Experte Mehmet Scholl gegen Urs Siegenthaler rätseln viele Fußball-Interessierte darüber, warum der ehemalige Bayern-Profi das getan hat und wer Siegenthaler überhaupt ist.

Der 68-jährige Schweizer gehört zum 30-köpfigen Funktionsteam und ist Chefscout der Nationalmannschaft. Er hat großen Einfluss auf Bundestrainer Joachim Löw. Im Anschluss an das Duell gegen Italien hatte Scholl die Taktik des DFB-Teams, das mit einer Dreierkette in die Partie gegangen war und sich so dem Gegner angepasst hatte, scharf kritisiert und dafür vor allem „Fehler-Flüsterer“ Siegenthaler und „Konsorten“ verantwortlich gemacht. Siegenthaler „möge bitte seinen Job machen, morgens liegen bleiben, die anderen zum Training gehen lassen und nicht mit irgendwelchen Ideen kommen“, hatte der Ex-Nationalspieler in der ARD nach dem deutschen Sieg im Elfmeterschießen gefordert.

Der Schweizer reagierte mit Verwunderung und Unverständnis auf die kritischen Aussagen. Siegenthaler räumte dem Fachmann zwar das Recht zur freien Meinungsäußerung ein, konnte sich eine kleine Retourkutsche allerdings nicht verkneifen. „Ich weiß nicht, was ich Herrn Scholl getan habe“, sagte Siegenthaler. „Jeder kann erzählen, was er will — frei und unbefangen. Sich so zu äußern, ist Scholls gutes Recht.“ Und noch eine Erwiderung: „Vor 1000 Jahren haben die Menschen die Erde auch nicht als Kugel gesehen.“

Bundestrainer Joachim Löw stellte sich voll hinter Siegenthaler. „Ich finde es äußerst negativ, wenn man wertvolle Mitarbeiter von mir in meinem Stab persönlich angreift. Das finde ich nicht in Ordnung, weil Außenstehende die Abläufe, die es intern gibt, und welche Dinge wir intern wann und wie besprechen, nicht beurteilen können.“ Dass man die Taktik auch am Gegner ausrichten müsse, sei doch völlig normal, erklärte Löw mit Blick auf den Erfolg im EM-Viertelfinale gegen Italien. „Man kann ja nicht ins Spiel gehen und sagen, wir spielen wie immer, es geht nur um unsere eigenen Stärken. Der Gegner ist uns eigentlich völlig egal. Das wäre ja fahrlässig, das wäre völlig naiv und unprofessionell“, meinte Löw. „Das bereiten unsere Leute sehr gut vor — wie der Urs und sein Stab.“

Scholl ist für seine manchmal übertriebenen Schelten bekannt. So ging er 2012 bei der EM Torjäger Mario Gomez nach einem Spiel an: „Ich hatte zwischendrin Angst, dass er sich wund gelegen hat, dass man ihn wenden muss.“ Dafür entschuldigte er sich später.

Siegenthaler, der am 17. Mai 2005 zum Team des damaligen Bundestrainers Jürgen Klinsmann stieß, macht kein großes Aufhebens um seine Person. Nach dem Kantersieg gegen Gastgeber Brasilien bei der WM 2014 feierten die Eidgenossen ihren Landsmann. „7:1 — ein Schweizer hat’s erfunden“, titelte das Boulevardblatt „Blick“. Über solche Sprüche schmunzelt der Chefscout nur. Er sieht seinen Job ganz nüchtern. „Meine Aufgabe ist es, den Bundestrainer über die Entwicklungen im Fußball und im Sport generell auf dem Laufenden zu halten. Wohin führt der Weg? Was kommt auf uns zu? Ziel ist es, nicht überrascht zu werden“, umschreibt er seine Tätigkeit. Ein Jahr vor der WM 2014 überzeugte er Löw davon, dass Standardsituationen zum Erfolg führen könnten. Der Bundestrainer musste aber erst von seinem Assistenten Hansi Flick überredet werden. „Standards haben ein Gewicht“, sagte Löw plötzlich. Und es klappte.

„Zufall spielt in meiner Arbeit keine Rolle“, sagt Siegenthaler. Er besucht die Länder von potenziellen Gegnern, kein Detail entgeht ihm. Vor der WM 2006 war er in Argentinien, und der erste Gang führte ihn ins Nationalmuseum. Das gebe ihm einen ersten Eindruck, sagt er. „Ich will so viel wie möglich wissen über das Land, bis dahin, warum es Korruption gibt. Das sind Fragen, die sich auf Fußballspiele übertragen lassen“, erklärte er einmal der „FAZ“. Torsten Frings stellte einmal im Scherz, aber auch voller Respekt fest, dass ihm Siegenthaler sogar sagen könne, was sein Gegner zum Frühstück isst. Wenn’s zum Erfolg beiträgt...