Schöne Erinnerungen an Marseille
Karlheinz Förster spricht vor dem EM-Halbfinale in der Hafenstadt über seine Zeit bei Olympique
Marseille. Ach, Marseille. Karlheinz Förster kommt gleich ins Schwärmen. “Das war eine ganz, ganz schöne Zeit.“ 1986 wechselte der Abwehrmann der eisenharten Art vom VfB Stuttgart zu Olympique. Vier Jahre lang blieb Förster in der pulsierenden Hafenstadt am Mittelmeer, in der die deutsche Mannschaft am Donnerstag im EM-Halbfinale gegen Frankreich spielt.
Karlheinz Förster verspricht den DFB-Kickern einen “heißen Tanz“. Es seien natürlich nicht nur einheimischen Zuschauer im Stade Vélodrome, “aber Marseille ist eine absolut fußballverrückte Stadt mit heißblütigen Fans“. Die im Vorfeld der Europameisterschaft umgebaute Arena ist die spektakulärste Spielstätte des Turniers. Kein 08/15-Oval, sondern ein Tempel der hochkochenden Emotionen mit charakteristisch geschwungenen Tribünen. Steil geht es auf den Längsseiten des Stade Vélodrome nach oben. Wer unterm neuen Dach sitzt, braucht fast schon ein Fernglas, um noch fehlerfrei die Rückennummern erkennen zu können, doch er hat einen Spitzenplatz fürs Schauspiel der Gemütsaufwallungen, das sich unter ihm entfaltet.
Zur Zeit von Karlheinz Förster war das noch ganz anders. Die Radtennbahn, die dem Stade Vélodrome seinen Namen gab, wurde erst zur Weltmeisterschaft 1998 entfernt. Nach dem erneuten Umbau zur EM 2016 steht in Marseille das größte Vereinsfußballstadion Frankreichs. Noch mehr Zuschauer passen nur ins Stade de France in Paris, das aber der Nationalmannschaft vorbehalten bleibt und fürs Pokalfinale genutzt wird.
Karlheinz Förster war 1986 vom ebenso reichen wie ehrgeizigen Olympique-Boss Bernard Tapie nach Marseille gelockt worden. “Der war berühmt, aber noch mehr berüchtigt“, erinnert sich der langjährige National-Vorstopper mit einem Lächeln. Dem VfB Stuttgart hatte der jüngere der Förster-Brüder lange die Treue gehalten, war 1984 noch deutscher Meister geworden. “Dann wollte ich mal was anderes machen. Und, unter uns gesagt, Olympique hat auch mehr bezahlt.“ Karlheinz Förster, inzwischen als Spielerberater tätig, grinst schon wieder. Fußballkenner reden von einer Verdoppelung des Gehalts, die Tapie damals möglich gemacht habe.
Der einstmals weltbeste Manndecker war nicht der einzige Deutsche, der in den späten Jahren der Karriere solchen Angeboten erlag. Ein Jahr nach Förster kam Klaus Allofs zu Olympique. Der heutige Manager des VfL Wolfsburg traf in 53 Spielen 20 Mal, dann wechselte er nach Bordeaux. Noch heute schwärmt Allofs von der französischen Lebensart, die er damals kennen und schätzen lernte. Ein zweiter namhafter deutscher Nationalstürmer, den Tapie nach Marseille lotste, war Rudi Völler. Er kam 1992 aus Rom, schoss Olympique zur Meisterschaft und gewann 1993, auf dem Höhepunkt der Ära Tapie, die Champions League.
Als Völler kam, war Franz Beckenbauer schon wieder weg. Deutschlands Fußball-Lichtgestalt (mit diversen Schmutzflecken) hatte sich den Weltmeistermacherruhm von 1990 vergolden lassen, arbeitete bei Olympique als so genannter Technischer Direktor und Trainer. Beckenbauer holte die Meisterschaft und den Pokalsieg. Nach dem Champions-League-Triumph 1993 kam der Absturz von Olympique. Vereinsfunktionäre hatten Bestechungsgelder gezahlt, OM wurde in die zweite Liga zurückgestuft, Tapie kam ins Gefängnis.
Beim Neuaufbau tauchte dann ein letzter Deutscher auf, der heutige Bundestorwarttrainer Andreas Köpke. Er stand als Europameister von 1996 zwei Jahre lang als Nummer eins im Kasten, dann wurde Köpke zum Ersatzmann degradiert und ging im Winter 1998/99 nach Nürnberg. Jetzt kommt er mit der Nationalmannschaft ins Stade Vélodrome. Das EM-Halbfinale gegen den Turniergastgeber Frankreich soll nicht die Endstation sein. Karlheinz Förster tippt auf einen deutschen 2:1-Sieg. Auch aus eigener Erfahrung sagt er: “Wir haben gegen die Franzosen bei großen Turnieren eigentlich immer gewonnen, wenn ich mich richtig erinnere. Ganz sicher weiß ich es von meinen Weltmeisterschaften 1982 und 1986. Und in Brasilien war es auch so.“
Trotz der Ausfälle vom Stammkräften, die Bundestrainer Joachim Löw zu Umstellungen zwingen, sieht Förster “keinen großen Nachteil. Wir haben doch einen wirklich guten Kader. Und jeder, der neu in die Mannschaft kommt, wird sich voll reinhauen.“ Das französische 5:2 gegen Island hat dem Abwehr-Haudegen früherer Tage durchaus Mut gemacht. Mut aus deutscher Sicht. “Im Defensivbereich waren bei den Franzosen eindeutig Schwächen zu sehen.“ Dann schwärmt Karlheinz Förster noch ein bisschen von Marseille. “Diese Zeit vergisst man nicht.“