Durchpusten nach 2:0 - Löw: Nicht auf Startelf festnageln
Gelsenkirchen (dpa) - Mit einem „guten Gefühl“ und klaren Aufgaben verabschiedete Joachim Löw seine EM-Spieler um Kapitän Bastian Schweinsteiger in einen letzten Kurzurlaub.
Der Bundestrainer selbst wird bis zur Abreise der deutschen Nationalmannschaft am Dienstag nach Frankreich weiter an seiner Europameisterschafts-Taktik feilen, mit der sein Team den vierten EM-Titel nach Deutschland holen soll. „Wir glauben schon an unsere Stärke. Wenn wir das ausspielen und die Mentalität stimmt, haben wir gute Chancen“, sagte Löw selbstbewusst.
Der Weltmeistercoach weiß: Seine Mannschaft ist eine Woche vor dem EM-Auftakt am kommenden Sonntag gegen die robusten Ukrainer auf einem guten Weg. Die Startelf für den Ernstfall in Lille steht weitgehend. Das 20-Minuten-Comeback von Schweinsteiger hat zudem die Hoffnung geschürt, dass der Anführer während des 30 Tage dauernden Fußballturniers doch noch eine wichtige Rolle übernehmen kann. Zu viel Sicherheit aber wollte Löw nach der gelungenen Generalprobe gegen EM-Teilnehmer Ungarn nicht verbreiten: „Ich lasse manches noch offen. Ich will nicht auf eine Wunschelf festgenagelt werden.“
Das 2:0 gegen mutige, aber spielerisch limitierte Magyaren verriet eine Menge zu Löws EM-Strategie. Wie vor zwei Jahren bei der triumphalen Weltmeisterschaft in Brasilien setzt der Bundestrainer auf eine kompakte Defensive, auf Spielwitz, Tempo und eine taktisch variable Spielausrichtung. „Diese Mannschaft hat sich jetzt ein Stück weit gefunden“, sagte Löw. Schnell schloss der 56-Jährige aber an: „In manchen Situationen haben wir gespürt, dass die Spritzigkeit und die Dynamik fehlten. Das werden wir nächste Woche aufholen.“
Fünf Tage bleiben dem Team im EM-Basiscamp in Évian-les-Bains. „Wir sind schon nah dran an einer möglichen Startformation“, erklärte Teammanager Oliver Bierhoff. Beim Turnier werde das Team mit einer „anderen Mentalität“ antreten als im letzten Test. Vor allem Toni Kroos und Sami Khedira, der nach einem schmerzhaften Schlag auf den Fuß zur Pause in der Kabine blieb, agierten gegen Ungarn noch im Sparmodus.
„Wir können aus dem Spiel was ziehen. Wir müssen vorne zwei, drei Chancen mehr kreieren“, benannte Champions-League-Sieger Kroos eine der Aufgaben für den Ernstfall. „Wir wissen, dass wir sicherlich an dem einen oder anderen Thema intensiv arbeiten müssen“, sagte Löw. Mit vielen kurzen, intensiven Spielformen will er die Dynamik fördern. „Dann werden wir noch an der Gesamtorganisation justieren.“
Mit einigen Justierungen hat Löw schon Verbesserungen eingeleitet. Der Schalker Benedikt Höwedes machte die rechte Abwehrseite dicht. Er ist jetzt Löws Lösung Nummer eins auf dieser Position. Antonio Rüdiger hat sich mit seinem Tempo und einer guten Spieleröffnung den Platz des noch nicht fitten Mats Hummels in der Innenverteidigung gesichert. Emre Can testete Löw nach der Pause als Alternative für die linke Seite. „Es war mal wieder wichtig, zu Null zu spielen“, betonte Löw. Erstmals in der EM-Saison gelang das dem Weltmeister.
In der Offensive warben sowohl Mario Götze als „falscher Neuner“ als auch Mario Gomez als klassische Angriffsspitze für sich. Beide waren vor 52 104 Zuschauern an den Treffern gegen die wie erwartet defensiv agierenden Magyaren beteiligt. Götze erzwang das Eigentor von Adam Lang. Gomez bereitete mit einem wuchtigen Kopfball das Abstaubertor von Thomas Müller vor. Löw wollte sich aber nicht auf ein bevorzugtes System festlegen lassen: „Grundsätzlich gilt, dass wir flexibel sind und unterschiedliche Systeme spielen können. Das werden wir tun.“
Das Erfolgserlebnis auf Schalke gab Trainern und Spielern die Bestätigung für die wirkungsvolle Arbeit im Schweizer Trainingscamp. „Wir gehen jetzt mit einem guten Gefühl aus der Vorbereitung und brennen auf die Europameisterschaft“, sagte Julian Draxler. Der Ex-Schalker unterstrich an alter Wirkungsstätte, dass er ein Topkandidat als Linksaußen ist. „Ich fühle mich gut, ich bin selbstbewusst, ich möchte auch spielen“, sagte der 22-Jährige.
Özils zeitweise Rückversetzung ins defensive Mittelfeld wie schon beim 4:1 gegen Italien eröffnet eine zusätzliche Variante. „Er ist überragend mit Toni Kroos in der Spieleinleitung und Ballsicherheit, spielt gute Pässe zwischen den Räumen“, lobte Löw. Die letzten 23 Minuten spielte Özil zusammen mit Schweinsteiger diesen Part. Nach über zwei Monaten Verletzungspause bestritt der 31 Jahre alte Kapitän erstmals wieder einen Wettkampf.
„Es war der erste Schritt“, sagte Löw, auf einem noch immer schwierigen Weg. „Basti hat lange nicht gespielt. Wir wollten nicht, dass in dieser Phase irgendwas passiert“, sagte Löw. Schweinsteiger kam in der 68. Minute. „Er muss im Training immer weiter arbeiten, auch am Wochenende was tun“, betonte der Bundestrainer.