Fußball-EM Die Stabilisatoren: Benjamin Pavard und Lucas Hernandez vor dem Duell mit Deutschland

Die Verteidiger Benjamin Pavard und Lucas Hernandez sind anders als beim FC Bayern wichtige Stützen für die französische Nationalmannschaft - und für das Duell in München besonders motiviert

Benjamin Pavard und Lucas Hernandez sind die Stabilisatoren der Franzosen.

Foto: dpa/Daniel Cole

Die Atmosphäre wirkt locker, der Sound klingt cool, die Typen schauen lässig. Solche Einblicke vermittelt ein Videoclip aus dem Vorlauf zum letzten EM-Test gegen Bulgarien, den Frankreichs Fußball-Verband (FFF) über seine Sozialen Kanäle unter dem Titel „les coulisses“ (hinter den Kulissen) ausgespielt hat: Kylian Mbappé zwinkert von der Massebank zu, Karim Benzema trägt vergoldete Kopfhörer, Antoine Griezmann wippt im Takt mit, neben ihm steht Spind-Nachbar Paul Pogba, der gerade das Zusammenleben bei der französischen Nationalmannschaft so beschrieb: „Die Stimmung mit allen ist großartig, es gibt nur Lachen, Musik und Massagen.“

Die in Bild und Ton belegte Botschaft lautet: Alles in den Abläufen von Spielern, Trainern, Betreuern oder Physiotherapeuten ist eingeübt, und die Truppe bei bester Laune – jeder weiß genau, was zu tun ist. Erst in der Kabine, dann auf dem Platz. Wobei vier Kadermitglieder vor dem ersten EM-Gruppenspiel gegen Deutschland (21 Uhr/ZDF) zusätzlich noch Heimvorteil reklamieren können. Benjamin Pavard, Lucas Hernandez, Corentin Tolisso und Kingsley Coman vom FC Bayern kennen in München bereits die Laufwege in den Umkleideräumen.

Er treffe viele Freunde aus dem Verein, hat Pavard kürzlich stellvertretend für den Bayern-Block gesagt, „aber während des Spiels sind es meine Gegner.“ Und damit erst gar keine Zweifel an seiner Gesinnung aufkommen: „Die Zuschauer können mich ausbuhen oder beschimpfen, das macht nichts, ich werde das blaue Trikot verteidigen.“ Wenn Pavard, Hernandez und Tolisso morgen für den Weltmeister auflaufen, spielt eine Menge Trotz mit. Es ist schon erstaunlich, dass sich ihre Wertschätzung im Nationalteam deutlich größer als im Verein ausgestaltet.

Zu den am meisten unterschätzten Schlüsselfiguren in der Equipe Tricolore gehören fraglos der Rechtsverteidiger Pavard, 35 Länderspiele, und der Linksverteidiger Hernandez, 26 Länderspiele. Die beiden 25-Jährigen bilden die äußeren Sicherheitsanker der Viererkette, sie stabilisieren das Gebilde wie hydraulische Seitenstützen eines Kran-Lastwagens, der schwere Lasten in die Höhe hebt. Die Nummer 5 (Pavard) und 21 (Hernandez) begreifen meist die Mittellinie als imaginäre Begrenzungslinie ihres Tuns; sie spielen lieber den Sicherheitspass zurück statt einen Fehlpass nach vorn. Deshalb hat auch allein Pavard für „Les Bleus“ getroffen; einer seiner beiden Länderspieltreffer war ein Traumtor aus dem Hinterhalt beim WM-Achtelfinale gegen Argentinien (4:3). Vollspannstoß in den Winkel.

Nationaltrainer Didier Deschamps verlangt von seinen Außenverteidigern ansonsten eine eher unspektakuläre Spielweise. Der 52-Jährige soll sich vor der WM 2018 den Kopf darüber zermartert haben, wie er seine hochkarätige Offensive am besten absichert. Er entschied sich damals für zwei junge Abwehrspieler, die beim VfB Stuttgart und Atletico Madrid meist innen verteidigten. Der Deschamps-Plan: dem damals noch nicht vor Selbstvertrauen strotzenden Team erst mal defensiven Halt zu geben. Die heutigen Bayern-Profis waren als ausgewiesene Teamplayer dafür wie gemacht.

Und so hat es eben nicht nur mit Verletzungspech zu tun, dass die beiden an der Säbener Straße noch nicht den Status der Unverzichtbaren erlangt haben, wie Hernandez im März der Sportzeitung „L’Equipe“ erklärte: „Bei Bayern greift der Linksverteidiger viel mehr an, als dass er verteidigt. Bei Atletico war es genau andersrum.“ Vor zwei Jahren wechselten das Gespann gegen festgeschriebene Ablöse von 35 Millionen (Pavard) bzw. 80 Millionen Euro (Hernandez) zum deutschen Rekordmeister. Ein schlechtes Wort über ihren Arbeitgeber wollen sie naturgemäß vor dem Aufeinandertreffen mit Manuel Neuer und Co. nicht verlieren. Pavard betonte, dass ihm die zwei Jahre in München geholfen hätten, „wichtige Erfahrungen zu sammeln, viele Titel zu gewinnen und mich zu verbessern“. Und Hernandez beteuerte, es nie bereut zu haben, seinen luxuriösen Vertrag unterschrieben zu haben. „Jetzt möchte ich eine tolle Saison mit einem wunderschönen Erlebnis bei der EM beenden.“

Beim bislang größten Vereinserfolg kamen weder Hernandez noch Pavard zum Einsatz. Beim Champions-League-Sieg gegen Paris St. Germain vergangenen Sommer schlüpfte ihr Landsmann Coman in die Heldenrolle, der in Lissabon von einer Maßflanke des aufgerückten Rechtsverteidigers Joshua Kimmich profitiere. Pavard war damals erst aus einer Verletzungspause zurückgekommen, Hernandez spielte mal Innen-, mal Linksverteidiger – und im Finale dann gar nicht. In der Nationalelf aber haben sie kaum Konkurrenz. Links wäre Lucas Digne, 27, vom FC Everton die Alternative, rechts am ehesten Jules Koundé, 22, vom FC Sevilla. Als zuletzt Stimmen aufkamen, Koundé können der bessere Rechtsverteidiger sein, setzte Pavard gegen Bulgarien vergangenen Dienstag zu einem Vorstoß an: Nach seiner Flanke traf Olivier Giroud zum 2:0. Debatte wieder beendet. Locker, cool und lässig.