Europameisterschaft Portugal vor EM-Auftakt: Widerstände überwinden
Titelverteidiger Portugal vereint mehr Klasse als beim Triumph 2016 im Kader, doch vor dem Auftaktspiel in Budapest stört nun ein positiver Coronafall.
Es kann vielleicht im Einzelfall doch die EM der kurzen Wege werden. Zumindest, wer das Turnier so angeht wie der Titelverteidiger. Nicht in Lissabon, Porto oder Faro, sondern direkt in Budapest hat die portugiesische Auswahl ihr Basiscamp bezogen. Trainingseinheiten finden im llovszky Rudolf Stadion statt, die vor zwei Jahren neu erbaute Heimstätte von Vasas Budapest. Ein netter Schauplatz im XIII. Bezirk, die bekannte Margareteninsel und der belebte Heldenplatz sind nicht weit weg. Nur den berühmten Katzensprung ist es dann auch bis in die nach Ungarns großem Fußballidol Ferenc Puskas benannte Arena, in der sich die Selecao am Dienstag (18 Uhr) als erster Gegner des Gastgebers Ungarn vorstellt. Mehr als 67.000 patriotische Zuschauer werden erwartet.
Einer allerdings macht definitiv nicht mit: João Cancelo wurde positiv auf Corona getestet. Die PCR-Probe am Sonntag habe das Ergebnis eines Antigentests vom Vortag bestätigt, teilte der portugiesische Fußballverband FPF mit. Die Stammkraft von der rechten Außenbahn hat sich in Budapest in Isolation begeben. Für den Profi von Manchester City soll U21-Nationalspieler Diogo Dalot vom AC Mailand nachrücken, der sich im Dubai-Urlaub befunden hatte. „Widerstandskraft ist die Fähigkeit, sich von Krisen zu erholen und daraus zu lernen“, schrieb Cancelo schnell noch bei Instagram.
Seine Mannschaft ist in der Überwindung von Widerständen wahrhaft meisterlich, wer an das bislang letzte EM-Spiel zurückdenkt. Finale 2016 in Paris. Die Menschenmenge im Stade de France in Paris pfiff und schrie, als Cristiano Ronaldo sich erst vor Schmerzen auf dem Rasen krümmte, später dann gockelhaft am Spielfeldrand den Einpeitscher gab. Der Gastgeber Frankreich biss sich die Zähne aus: Am Ende lag sich ganz Portugal nach dem Jokertor von Éder Lopes in den Armen. Der 33 Jahre alte Matchwinner von damals ist diesmal nicht dabei – er sitzt gerade als vertragsloser Stürmer in Belgien, dem Herkunftsland seiner Frau und sondiert die Angebote. Seine Nicht-Berücksichtigung hat er kommen sehen. Zu hoch ist schlicht die Qualität an Fußballern, die das westlichste Land von Europa immer wieder aus seinen vielen Talentschmieden ausspuckt. „Schon in den letzten Jahren gab es Spieler, die näher dran waren. Ich respektiere das total“, sagte Éder in der „Süddeutschen Zeitung“.
Bei kaum einem anderen EM-Teilnehmer tummeln sich so viele Unterhaltungskünstler in vorderer Reihe. Bernardo Silva (Manchester City), Bruno Fernandes (Manchester United), João Felix (Atletico Madrid) und Diogo Jota (FC Liverpool) sind in europäischen Topklubs unterwegs, dazu kommt mit André Silva von Eintracht Frankfurt noch ein weiterer Torjäger, der das Argument von 28 Bundesligatoren mit nach Budapest gebracht hat. Stellt sich fast die Frage, ob es Ronaldo mit seinen immerhin 36 Lenzen noch braucht?
Fernando Santos, der listige Nationaltrainer, macht das Fass gar nicht erst auf. „Keine Mannschaft der Welt kann ohne den besten Stürmer der Welt besser sein als mit ihm.“ Er setzt weiter auf den Instinkt seines Superstars, will ihn so nah wie möglich am gegnerischen Strafraum postieren, der Rest der Hochbegabung liefert zu. Viele glauben, dass der portugiesische Kader mehr Klasse vereint als beim EM-Triumph 2016. Dort quälten sich das Team in der Vorrunde zu drei Unentschieden gegen Island, Österreich und Ungarn – und benötigte anschließend gegen Kroatien die Verlängerung, gegen Polen das Elfmeterschießen, um sich dann endlich im Halbfinale gegen Wales zu einer überzeugenden Vorstellung durchzuringen. Die latente Kritik an der defensiven Spielweise ließ Santos locker an sich abprallen wie die ständigen Hinweise, dass Rauchen nicht gesund sei. Mit dem Nations-League-Sieg 2019 untermauerte Santos auch seine Ansprüche. Jetzt lautet die Ansage des 66-Jährigen: „Wir nehmen die Rolle als Titelkandidat an.“