Kolumne collinas erben Kein Handspiel – das war eine gute Entscheidung
Meinung · „Collinas Erben“ erklärt Fußball-Deutschland auf Twitter und im Fernsehen umstrittene Schiedsrichterentscheidungen. Diesmal das vermeintliche Handspiel im Spiel Italien gegen Türkei.
Kurz vor der Pause im Eröffnungsspiel der Europameisterschaft zwischen der Türkei und Italien (0:3) gab es erstmals in diesem Turnier einige Aufregung um eine Entscheidung des Schiedsrichters. Leonardo Spinazzola wollte den Ball fast von der Torauslinie vor das türkische Tor flanken, doch der zwei Meter entfernte Zeki Çelik bekam den Ball an den rechten Unterarm, der in einem 90-Grad-Winkel vom Oberkörper abstand. Die Italiener protestierten, aber der gut postierte Schiedsrichter Danny Makkelie signalisierte sofort: weiterspielen.
Auch die Überprüfung der Szene durch den Video-Assistenten führte nicht zu einer Empfehlung an den Unparteiischen, sich den Vorgang noch einmal selbst am Monitor anzusehen. Das überraschte so manchen: Gab es in ähnlich gelagerten Fällen in der jüngeren Vergangenheit nicht regelmäßig Strafstöße nach solchen Handspielen, weil eine Armhaltung wie die von Çelik als „Vergrößerung der Körperfläche“ angesehen und daher geahndet wurde?
Das stimmt, doch die Regelhüter vom International Football Association Board (IFAB) haben die Handspielregel erst vor Kurzem ein weiteres Mal geändert. Die davor gültige Fassung galt nur zwei Jahre lang; sie war im Bemühen, klarere, besser messbare Kriterien zu schaffen und damit die Grauzone zu verkleinern, ellenlang geraten und teilweise missverständlich formuliert. Der starke und starre Fokus auf die Armhaltung eines Spielers beim Handspiel führte oft zu Elfmetern, die viele als zu streng empfanden. Denn bisweilen war ein abgespreizter Arm bloß die Folge eines normalen, fußballtypischen Bewegungsablaufs und kein Indiz dafür, dass ein Spieler den Ball aufhalten oder ablenken wollte.
Nun hat das IFAB die Handspielregel stark gekürzt und das Kriterium der Absicht wieder stärker in den Vordergrund gerückt – die Regeländerung gilt erstmals bei dieser EM, danach auch in der Bundesliga und bei allen anderen Wettbewerben. Die „Vergrößerung der Körperfläche“ ist zwar immer noch strafbar – aber nur dann, wenn sie sich nicht aus einer normalen Körperbewegung ergibt, sondern unnatürlich ist. „Unnatürlich“ heißt: Der Spieler spreizt den Arm nicht ab, um etwa die Balance zu wahren, Schwung zu holen oder weil er in der Laufbewegung ist, sondern um gegebenenfalls den Ball aufzuhalten. Der Ermessensspielraum des Schiedsrichters ist dadurch wieder größer geworden.
Zeki Çelik hat davon profitiert. Er war in einer natürlichen Laufbewegung, seine Armhaltung war entsprechend; er hat den Arm auch nicht zum Ball geführt und nicht angespannt, wie es Spieler tun, die zumindest in Kauf nehmen, die Kugel mit der Hand abzulenken. Sein Unterarm wurde vielmehr ein Stück weggeschleudert, als der Ball auftraf – auch das ist ein Indiz, dass das Handspiel nicht beabsichtigt war. Makkelies Entscheidung dürfte die Zustimmung der Regelhüter finden. Und sie hat einen Maßstab gesetzt: In ähnlich gelagerten Fällen bei der EM sollte nun genauso entschieden werden. Im Sinne des Fußballs wäre das allemal.