Fußball-EM zwischen Innovation und Bergbau
Kiew (dpa) - Es geht um viel Kohle in den Gastgeberländern der Fußball-Europameisterschaft. Der Bergbau hat sowohl in Polen als auch in der Ukraine eine lange Tradition. Polen ist der größte Kohleproduzent des Kontinents, gefolgt von der Ukraine.
Doch die tiefgreifende Strukturreform des europäischen Energiemarktes zwingt beide Länder zur Modernisierung. Zwei Spielorte der EM - Breslau und Donezk - verdeutlichen den Wandel.
Innovativ und jung - so präsentiert Rafal Dutkiewicz, Bürgermeister von Breslau (Wroclaw), die niederschlesische Stadt am liebsten. Ob beim Gespräch mit Investoren oder bei der Bewerbung als Europäische Kulturhauptstadt: er vergleicht seine Heimat bevorzugt mit westlichen Metropolen. Die Stadt an der Oder mit ihrer lebendigen Studentenszene, dem Technologiepark mit vier Sonderwirtschaftszonen und der geografischen Nähe zu Deutschland zeigt sich selbstbewusst als Investitionsalternative zur Hauptstadt Warschau.
Die deutsche Vergangenheit wird dabei nicht länger verschwiegen, sondern als Teil des multikulturellen Erbes von Breslau gewürdigt. „Die EM ist nur der Anfang“, betont Dutkiewicz. Weitere Großevents sollen folgen. Um Hochschulabsolventen und Unternehmensgründer anzuziehen, ging der Stadtpräsident schon vor Jahren auf Werbetour, versprach moderne und bezahlbare Wohnungen und Kindergartenplätze.
Neue Einkaufszentren und Bürogebäude am Rande der historischen Altstadt mit einem der größten Marktplätze Europas stehen für die aufstrebende Stadt. Die Einkommen liegen nur noch geringfügig unter denen in Warschau, teilte vor kurzem das polnische Statistikamt mit. Anders als die benachbarte oberschlesische Industrieregion setzt Breslau bei den Investoren vor allem auf IT - unter anderem haben Siemens, Dell und LG Philipps neue Standorte in Breslau bezogen.
In der seit 1991 unabhängigen Ukraine dreht sich hingegen die Kohleindustrie in einem Teufelskreis. Während Nachbar Polen auch von den Strukturhilfen der Europäischen Union profitiert, hat im ukrainischen Donbass - einem der größten Reviere der Welt - mit dem Aufschwung der Stahlindustrie ein Überlebenskampf eingesetzt. Der Bergbau, einst Stolz der Sowjetunion, sei heruntergewirtschaftet worden, klagen Gewerkschaftler. Das Bild sei leider typisch, meinen sie: Trotz vieler Fortschritte tue sich die weitläufige Ukraine, Europas zweitgrößter Flächenstaat, schwer mit der Modernisierung.
Viele der 159 Minen seien unrentabel, entsprechend marode seien die Sicherheitsanlagen unter Tage. Der Regierung fehle aber der Mut zur Schließung, weil andere Arbeitsplätze fehlen, sagen Kritiker. „Zu Sowjetzeiten waren die Bergleute Helden und wurden auch so bezahlt“, schrieb die Zeitung „Segodnja“ vor kurzem in einer Reportage aus der Stadt Donezk. Damals habe ein Kumpel 600 Rubel pro Monat erhalten. „Das war fünfmal mehr als ein Lehrergehalt.“
Mit dem wirtschaftlichen Verfall der Ex-Sowjetrepublik sei das Elend in die Bergwerke gezogen. Von einstmals 870 000 Beschäftigten (1991) sank die Zahl auf rund 230 000 Bergleute. „Aber die Kumpel haben ihren Stolz nicht verloren“, schrieb „Segodnja“.
Die oft seit Monaten auf ihren Lohn wartenden Bergleute begehen oft fatale Fehler bei der Arbeit. Im vergangenen Jahr gab es mehr als 130 Tote. Die Männer erstickten, verbrannten oder wurden verschüttet. Im Schnitt stirbt in der Ukraine alle drei Tage ein Bergmann. Für die Unfälle gibt es viele Gründe. Im Donbass-Revier ist die Konzentration von explosivem Methangas extrem hoch.
Auch bei der EM wird der Stellenwert des Bergbaus zu erkennen sein. Das vielleicht schönste Stadion des Turniers steht in Donezk und ist die Heimat von Schachtjor. Der Verein wurde gerade erneut ukrainischer Fußballmeister - und Schachtjor heißt übersetzt Bergmann.