Island im EM-Ausnahmezustand - „Wir können jeden schlagen“

Reykjavik (dpa) - Ein so kleines Land kann eine so gute Fußballmannschaft hervorbringen? Das überrascht selbst die Isländer. Schon der Einzug ins EM-Achtelfinale wird wie der Europameister-Titel gefeiert.

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Der Isländer ist ein Mensch, der auf Außenstehende eher kühl und in sich gekehrt wirkt. Doch in seinem Inneren brodelt ein Vulkan. Und der ist in diesem Jahr schon zweimal ausgebrochen: Als Regierungschef Sigmundur David Gunnlaugsson im April nach den Enthüllungen der Panama-Papers nicht zurücktreten wollte, bewarfen die Isländer aus Wut das Parlamentsgebäude mit Bananen und Eiern.

Diese Woche ist es der Fußball, der die Emotionen hochkochen lässt. Denn die Nationalmannschaft des knapp 330 000 Einwohner zählenden Landes ist ins Achtelfinale der Europameisterschaft vorgerückt. Seit dem 2:1-Sieg gegen Österreich sind die Isländer völlig aus dem Häuschen.

„Es ist das erste Mal, dass wir bei einer Europameisterschaft dabei sind, und dann gewinnen wir auch noch. Klar ist das eine große Sache“, sagt Sigríður Ragnarsdóttir von der Tourismusagentur Promote Iceland. Jeder habe am Mittwoch vor dem Fernseher gesessen. Und am Montag (21.00 Uhr), wenn es in Nizza gegen England geht, werde die Aufregung noch größer sein.

Der Ingolfstorg, der Marktplatz in Reykjavik, wird dann nicht mehr groß genug sein, ist Fußballfan Bragi Brynjarsson sicher. Er hat seine Mannschaft zusammen mit mehreren tausend Fans auf der großen Videoleinwand siegen sehen und sich wie Fußballkommentator Gudmundur Benediktsson vor Begeisterung die Lunge aus dem Hals geschrien. Der euphorische Kommentar des Sportjournalisten - „Ja! Ja! Ja! Wir gewinnen das hier! Wir sind unter den letzten 16. Wir sind unter den letzten 16. Wir haben gegen Österreich gewonnen!“ bis seine Stimme versagte - wurde über Nacht ein Internet-Hit.

„Die Stimmung war einfach verrückt“, sagt Bragi Brynjarsson. „Ich wurde von einem 70-jährigen Mann in die Arme genommen. Keine Ahnung, wer das war. Alle haben sich in den Armen gelegen und sind auf und ab gesprungen.“

Die meisten hatten am Mittwoch zeitig Feierabend gemacht, um den Anpfiff nicht zu verpassen. Eltern waren aufgefordert, ihre Kinder so früh wie möglich aus der Kita zu holen. Sogar die Banken schlossen früher. Wer trotzdem arbeiten musste, hatte wenigstens ein T-Shirt mit der isländischen Flagge am Körper. „Bei uns gab es Pizza und Cola für die Spätschicht und sie haben das Spiel im Büro geguckt“, erzählt Bragi.

Dass das kleine Island so gut Fußball spielen kann, kommt für viele Fußballfans und -experten im Ausland überraschend. „Unser Geheimnis ist, dass die Kinder schon sehr jung anfangen zu spielen“, sagt Sigríður Ragnarsdóttir. Die meisten Jungs stünden schon mit fünf Jahren auf dem Fußballplatz, egal wie das Wetter sei. „Das härtet ab.“

Das Interesse am Ballsport ist aber auch staatlich gewollt. Damit auch im Winter gekickt werden kann, hat die isländische Regierung enorm in den Ausbau von Sportstätten investiert. „Inzwischen ist es für die Bürgermeister im Lande eine Frage der Ehre, eine gute Halle und viele Plätze anbieten zu können“, sagt die Tourismusexpertin.

Auch in anderen Sportarten wie Handball und Basketball haben Isländer international auf sich aufmerksam gemacht. Doch der Fußball steht wie in Deutschland über allem. Und wenn die Nationalmannschaft im Ausland spielt, dann kann sie sich auf die Unterstützung von Zuhause verlassen. „Das ist der Geist von Island“, sagt Fußballfan Bragi. „Wenn unsere Jungs spielen, dann sind wir da.“ Momentan sollen etwa 30 000 isländische EM-Touristen in Frankreich unterwegs sein - ein Zehntel der Gesamtbevölkerung.

Klar, dass der 48-Jährige zum Achtelfinale nach Nizza fliegt. „Gegen England zu spielen, ist großartig.“ Aber hat die isländische Nationalelf überhaupt eine Chance zu gewinnen? „Wir haben Holland geschlagen, wir haben die Türkei geschlagen, wir haben Tschechien geschlagen. Wir können jeden schlagen!“