Italien mit Pirlo und breiter Brust gegen Deutschland

Kiew (dpa) - Es war wie immer in den großen Momenten des Andrea Pirlo:

Um ihn herum feierten und tanzten alle völlig enthemmt, der Staatspräsident Giorgio Napolitano rief sogar unmittelbar nach dem epischen EM-Viertelfinal-Erfolg im Elfmeterschießen gegen England in der Kabine an, um Italiens Fußball-Helden zu gratulieren. Nur Pirlo, dieser große Schweiger und Stratege, lächelte nur kurz und blickte danach gleich nach vorn. „Deutschland wird ein schweres Spiel“, sagte er. „Sie sind ohne Probleme ins Halbfinale durchmarschiert. Aber das ist immer noch ein Halbfinale. Und wir sind auch noch da.“

Und wie! Die italienischen Reporter empfingen Trainer Cesare Prandello im Casa Azzurri mit Applaus. Wenn es am Donnerstag in Warschau bereits zum 31. Mal zum Klassiker Deutschland gegen Italien kommt, denken alle sofort an die WM 2006. Die Deutschen wollen Revanche für ihre Halbfinal-Niederlage von damals und in Italien glauben spätestens seit dem Elfmeter-Drama von Kiew wieder viele, dass sich der völlig unerwartete Triumph sechs Jahre später noch einmal wiederholen könnte.

Der „Corriere dello Sport“ titelte: „Italien wie von einem anderen Planeten. Gewaltig!“ Die „Gazzetta dello Sport“ forderte „Italia go!“ und feierte das Team von Cesare Prandelli als „schönste italienische Nationalelf seit der WM in Deutschland“. Auch der bereits 86 Jahre alte Napolitano sagte seinen Spielern am Telefon: „Sie haben mich an Berlin 2006 erinnert - was für eine grandissima emozione!“

Die Vergleiche zu damals drängen sich nach dem mehr als verdienten Erfolg gegen England immer mehr auf. Angstgegner Italien (schon 14 Siege und nur 7 Niederlagen gegen Deutschland) ist ein äußerst unangenehmer Gegner, weitaus unangenehmer jedenfalls, als es die biederen Engländer jemals hätten sein können. Wie schon 2006 krochen die Azzurri aus einem Sumpf aus Manipulations-Vorwürfen zu diesem Turnier. Aber wie schon 2006 hat dies bei ihnen vor allem eines bewirkt: „Wir haben einen starken Teamspirit. Wenn wir heute ausgeschieden wären, wäre das eine Schande gewesen“, sagte Daniele De Rossi, neben Pirlo, dem Ex-Wolfsburger Andrea Barzagli und Keeper Gigi Buffon einer von vier Weltmeistern im heutigen Team, zurecht.

Wie schon 2006 spielt Italien auf einmal wieder einen beherzten, nahezu perfekt organisierten und gegen England sogar sehr verschwenderischen Fußball, statt einfach nur zu mauern. Und wie schon 2006 heißen die wichtigsten Spieler Buffon und eben Pirlo.

Torwart Buffon hielt beim 4:2 im Elfmeterschießen den vierten Versuch von Ashley Cole - nachdem er seine Mannschaft selbstbewusst auf diesen Showdown eingeschworen hatte. „Forza ragazzi - wir gehen jetzt da hin und siegen“, meinte der Juve-Keeper.

Spielmacher Pirlo bot selbst im Alter von 33 Jahren noch eine Weltklasseleistung. 117 Pässe spielte der Mann von Juventus Turin im Verlauf der 120 Minuten. 80 Prozent davon kamen auch an. Beim Elfmeterschießen stand er besonders unter Druck, weil Riccardo Montolivo zuvor für Italien verschossen hatte. Doch Pirlo ging seelenruhig zum Punkt, legte sich den Ball zurecht und erzählte später: „Ich sah, dass Hart richtig angespannt war. Den Elfer so zu schießen war leichter. Das hat den Keeper unter Druck gesetzt.“ Wie einst der Tscheche Panenka bei der EM 1976 löffelte er den Ball lässig und cool über den englischen Torwart Joe Hart ins Tor. „Das war genial“, lobte der beeindruckte Prandelli in Krakau.

Er spiele „wie Beethoven und Mozart“, sagte der frühere Weltmeister Christian Karembeu aus Frankreich, als er Pirlo zum „Spieler des Spiels“ kürte. Auch Prandelli lobte seinen Strategen: „Er ist ein absoluter Starspieler. Er ist selbstbewusst und ruhig und weiß genau, was er in kritischen Situationen zu tun hat.“

Dabei war Prandelli neben Pirlo der einzige, der diesen emotionalen Sieg gar nicht richtig ausleben konnte oder wollte. Während seine Spieler nach dem letzten Elfmeter nicht mehr zu halten waren, wäre der 54-Jährige wohl am liebsten direkt von seiner Trainerbank aus zurück ins Hotel gefahren. Prandelli beklagte zwei Spieler mit muskulären Problemen nach diesem Abend (de Rossi und Abate) und er weiß auch genau, dass die Deutschen zwei Tage mehr Zeit haben, um sich auszuruhen. „Wir sollten jetzt schnell aufhören zu feiern, und sehen, dass wir uns gut vorbereiten können“, sagte er.

Wer allerdings Weltmeister Spanien beim 1:1 in der Vorrunde an den Rand einer Niederlage bringt und jemanden wie Pirlo im Team hat, der kann vor so einem Klassiker auch reden wie Mittelfeldmann Ricardo Montolivo. „Deutschland hat eine starke Mannschaft“, sagte der Sohn einer Deutschen. „Aber wir haben vor ihnen keine Angst.“

„Ich bin sicher, dass wir Deutschland mit einigen taktischen Ideen in Schwierigkeiten bringen können“, sagte Prandelli. „Auch große Mannschaften wie Deutschland haben Schwachstellen“, betonte Prandelli in Krakau. Ein großer Vorteil für die DFB-Elf sei jedoch die zwei Tage längere Pause zwischen den Spielen. Eine Ausrede ist das für Prandelli nicht: „Wir werden uns gut vorbereiten und auf Angriff spielen“, versprach der umjubelte Coach.