Löw gibt Vollgas: Ausscheidungsrennen läuft
Tourrettes (dpa) - Es war eine schöne Abwechslung, dass die Formel-1-Stars Schumacher und Rosberg mit Podolski und Co. über Südfrankreichs Straßen rasten. Bundestrainer Löw interessiert nur eins: Wie bringt er seine EM-Spieler weiter in Topform?
Und welches Quartett streicht er?
Joachim Löw gönnte den größten Auto-Fans unter den deutschen Elitekickern nur eine kurze Spritztour mit den Meistern des Fachs. Rekord-Weltmeister Michael Schumacher und dessen Formel-1-Teamkollege Nico Rosberg chauffierten Lukas Podolski, Tim Wiese, Marco Reus und André Schürrle direkt zum Trainingsplatz in Tourrettes. Deutlich wichtiger aber war dem Bundestrainer zwei Wochen vor Europameisterschaftsstart Vollgas auf dem Fußballplatz. 18 Spieler schwitzen bei Sonnenschein, der in Südfrankreich das tagelange Regenwetter abgelöst hat, bei intensiver Taktik- und Athletikschulung mit Gummibändern und Bremsschlitten.
„Alle trainieren sehr hart, schenken sich nichts, aber ziehen trotzdem an einem Strang. Jeder will seinen EM-Platz“, sagte der Dortmunder Sven Bender und verdeutlichte damit, worum es im Trainingscamp des DFB-Teams geht. Auch wenn die acht Münchner Spieler, die nach der ungeliebten Freundschaftspartie des FC Bayern gegen die niederländische Nationalelf erste Zeichen der EM-Vorfreude ins Trainingsquartier übermittelten, noch bis zum Wochenende fehlen, ist das Rennen um Stamm- und Kaderplätze voll entbrannt. „Die Positionen müssen größtenteils doppelt besetzt sein. Und ich muss mich fragen, welche personellen Lösungen für den gesamten Kader sinnvoll sind“, bemerkte Löw zur Streichquote vier aus 27.
Der erste von zwei EM-Tests am Samstag (18.00 Uhr) gegen die Schweiz wird gleich aus mehreren Gründen zur Nagelprobe. Löw trimmte auf der nagelneuen Sportanlage in Tourrettes erneut die Viererkette Höwedes, Mertesacker, Hummels und Schmelzer. Per Mertesacker will und muss in Basel nach monatelanger Wettkampfpause seinen ausgezeichneten Trainingszustand bestätigen, um als Abwehrchef ins Turnier zu gehen. Andere wie der im Training überzeugende Dortmunder Ilkay Gündogan oder die Offensivkräfte Cacau und Marco Reus müssen dagegen zunächst in dem Länderspiel nachweisen, dass sie als wertvolle Reservisten einen der 23 endgültigen Kaderplätze verdienen.
Das Auswahlverfahren, in dem Löw bis zum kommenden Dienstag noch einen Torwart und drei Feldspieler streichen muss, ist extrem hart. Anders als bei der Vorbereitung auf die WM 2010 in Südafrika gibt es dieses Mal keine Verletzungsausfälle. Auch Miroslav Klose stieg am Mittwochabend bei der zweiten Übungseinheit des Tages wieder ins Mannschaftstraining ein. Zu Wochenbeginn hatte der 33 Jahre alte Topstürmer von Lazio Rom wegen muskulärer Probleme am Rücken zwei Tage ausgesetzt. Der in diesem Jahr lange verletzte Klose soll möglichst in Basel spielen. Auch Mesut Özil trainiert inzwischen in Tourrettes mit dem Team und wird gegen die Schweizer das Zepter im deutschen Offensivspiel übernehmen.
„Das Spiel ist ein wichtiger Faktor. Das ist das letzte Ding, wo man sich zeigen kann“, erklärte Lars Bender zur großen Bedeutung des Schweiz-Tests für die persönlichen EM-Fahrkarten. Kurioserweise muss der Leverkusener auch gegen seinen Zwillingsbruder Sven kämpfen. Die Bender-Buben aus Rosenheim sind das 14. Bruderpaar in einem deutschen Nationalteam einschließlich der DDR-Auswahl. Sie könnten als erste Zwillinge überhaupt bei einem großen Turnier für Deutschland antreten. Lars Bender ist aber nicht blauäugig: „Es kann genauso gut sein, dass wir beide rausfallen. Das ist uns schon bewusst.“
Löw weiß, dass er vor unangenehmen Gesprächen steht. „Dass es denjenigen wehtut, die nach harter Arbeit mit großer Motivation nach Hause fahren müssen, ist klar.“ Das Streichen ist aber nur von zweitrangiger Bedeutung. Für Löws Titelmission ist es wichtiger, die beste Stammelf und die Alternativen für besondere Aufgaben zu finden.
Überraschend deutet im Training einiges darauf hin, das Neuling Julian Draxler gegen die Schweiz nicht nur zu seinem Debüt kommen dürfte, sondern sogar in der Startelf steht. Löw sieht in dem 18 Jahre jungen Schalker einen „Eins-gegen-eins-Spieler“ mit besonderen Anlagen: „Er nimmt Tempo auf, wenn er die Möglichkeit hat, er hat Zug zum Tor, er hat Zug nach vorne. Das gefällt mir.“
Mit den Münchner EM-Spielern, die am Samstagabend anreisen und am Pfingstsonntag mit dem gesamten Team das Formel-1-Rennen in Monaco besuchen sollen, kann sich Löw intensiv erst ab kommender Woche beschäftigen. Die Final-Niederlage in der Champions League gegen Chelsea soll dann in den Hintergrund rücken. „In so einem Turnier muss man keinen motivieren, das wird dann von alleine kommen“, betonte Toni Kroos. „Da haben wir ein neues Ziel, ein großes Ziel.“