Löw lässt Bedenken abprallen - Freizeit für EM-Spieler

Évian-les Bains (dpa) - Freizeit statt Training und demonstrative Gelassenheit als Beruhigungsmittel: Hoch oberhalb des Genfer Sees hat Joachim Löw am arbeitsfreien Tag für seine 23-EM-Spieler die von der tristen Nullnummer gegen Polen aufgeschreckte deutsche Fußball-Nation zu besänftigen versucht.

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Der turniererfahrene Bundestrainer hält bei der Europameisterschaft in Frankreich an seiner Marschroute fest. Für radikale taktische und personelle Umbaumaßnahmen sieht er beim finalen Gruppenspiel gegen die kampfstarken Nordiren keinerlei Notwendigkeit. „Ich bin absolut entspannt“, verkündete Löw in Évian-les-Bains.

Fast 45 Minuten nahm sich der Weltmeistercoach auf dem Podium im DFB-Medienzentrum Zeit, um sich von den Reportern „ein Loch in den Bauch“ fragen zu lassen. „Das ist keine Arbeit für mich, das mache ich gerne“, scherzte Löw.

Hin und wieder nippte er am Espresso und amüsierte sich über die Nervosität nach einer nicht gewonnenen Partie. „Überrascht bin ich über gar nichts mehr“, sagte er zu den immer wiederkehrenden Themen und Debatten. „Jetzt spielen wir einmal 0:0 bei einem Turnier - und die Diskussionen kommen wieder“, sagte Löw etwa zu der neu entflammten Führungsspielerfrage im DFB-Team.

Löw ist weiterhin davon überzeugt, dass der Weltmeister am Dienstag (18.00 Uhr) in Paris als Erster der Gruppe C in das Achtelfinale einziehen wird. „Wir wollen gegen Nordirland gewinnen, wir werden gewinnen, wir werden die Gruppe gewinnen“, verkündete er. Der Chef hält konsequent Kurs. Auch vom geplanten ersten freien Tag für seine Spieler in Évian rückte Löw darum nicht ab. „Es ist wichtig, während eines Turniers manchmal auch ein bisschen runterzufahren“, begründete Löw. Er öffnete das Teamhotel auch für die Spielerfrauen.

Eine wild umbesetzte Elf wird gegen die Nordiren nicht auflaufen. Und ein möglicher Systemwechsel hin zu einer Dreierkette in der Abwehr ist für Löw „kein Thema“. Für Bastian Schweinsteiger und auch Mario Gomez zeichnet sich eine dritte Partie als Ersatzkräfte ab. Es sei „erfreulich“, wie sich Kapitän Schweinsteiger „herangearbeitet“ habe, sagte Löw, während er wenig später Toni Kroos und Sami Khedira als derzeitige Ideallösung im defensiven Mittelfeld anpries.

Auch Torjäger Gomez dürfte eine Aussage des Bundestrainers wenig amüsiert haben. In der unendlichen Debatte um eine falsche oder richtige Neun im deutschen Angriffszentrum bemerkte Löw: „Ich möchte keinen Mittelstürmer, der stur in der Mitte steht.“ Trotz der bislang fehlenden Durchschlagskraft sprach Löw Mesut Özil, Thomas Müller und Mario Götze sein Vertrauen aus. „Ich glaube an ihre Fähigkeiten.“

Müller und Özil würden schon noch kommen im Turnier, beruhigte Löw. Und Götze besitze die Fähigkeit, mit einem Pass fünf, sechs Gegner zu überspielen. Ohne erstklassige Eins-gegen-Eins-Spieler auf den Außenbahnen könne nur ein funktionierendes Kombinationsspiel zum Erfolg führen. Löw fordert mehr Präsenz im Strafraum: „Wir hatten gegen Polen zu wenige Spieler in der Box, das war das Problem.“

In einem Alles-oder-nichts-Spiel wird Löw auf erfahrene Kräfte vertrauen und junge Turnierneulinge wie Leroy Sané oder Joshua Kimmich eher nicht auf den Platz schicken. „Ein Spiel, wo es um so viel geht, ist eine andere Situation“, gab Löw zu bedenken.

Weltmeister voran - diese Marschroute bleibt bestehen. Ausdrücklich gut hieß der Chefcoach das Verhalten von Abwehrchef Jérôme Boateng, der das mangelhafte offensive Durchsetzungsvermögen im Polen-Spiel öffentlich beklagt hatte. „Ich fand es gut, dass er nach dem Spiel die Dinge so klar angesprochen hat“, erklärte der Bundestrainer.

Boateng hatte auch während des Spiels unter anderem André Schürrle und seinen Bayern-Kollegen Thomas Müller auf dem Platz gerüffelt. „Ich glaube, ich habe das Recht, als Führungsspieler etwas zu sagen“, meinte Boateng. Löw zerstreute am Samstag zugleich Zweifel, dass der Abwehrchef wegen einer Hüftprellung gegen Nordirland ausfallen könnte. „Er ist für den Dienstag absolut eingeplant“, sagte Löw.

„Bei einem Turnier ist es für uns wichtig, die Ruhe zu bewahren“, sagte Teammanager Oliver Bierhoff zum Kurs der Sportlichen Leitung in der ersten etwas schwierigeren Turniersituation. Löw wollte mit seinem Trainerstab und den Scouts am Samstag einen Matchplan gegen Nordirland entwerfen. Sonntagmorgen wird wieder trainiert.

„Wir müssen definitiv einen Gang hochschalten“, sagte Spielmacher Özil. Der weiter auf sein erstes EM-Tor wartende WM-„Bomber“ Müller benannte konkrete Verbesserungsvorschläge: „Die Basis stimmt, die Mannschaft arbeitet gut zusammen, aber das letzte Risiko und das letzte Schnelligkeitsmoment vorne fehlen einfach.“