Löw lüftet Kadergeheimnis - Gomez und ein Wackelkapitän

Berlin (dpa) - Welchen Turnierjoker präsentiert Joachim Löw diesmal der staunenden deutschen Fußball-Öffentlichkeit? 26 Tage vor dem ersten Ernstfall bei der Europameisterschaft gegen die Ukraine muss der Bundestrainer seine personellen Karten für die Tour de France aufdecken.

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Und bei Nominierungen haben Überraschungen beim deutschen Weltmeister-Coach inzwischen Tradition: Welcher Jungstar darf mit? Hält Löw dem ewigen Lukas Podolski die Treue? Und wie verfährt er mit Sonderfall Bastian Schweinsteiger, seinem maladen Kapitän? Traut Löw dem alten Kämpfer ein Aufbäumen wie im WM-Finale 2014 nochmals zu?

Ein großer Gewinner steht schon fest. Mario Gomez ist zurück. Vor zwei Jahren war der Torjäger der prominenteste Streichkandidat in Löws WM-Aufgebot. „Die hässlichste Saison meiner Karriere endet mit einem weiteren Rückschlag“, klagte Gomez damals. Doch nach seiner sportlichen Wiederauferstehung mit 26 Saisontoren und dem Gewinn des Meistertitels in der Türkei mit Besiktas Istanbul am Pfingstsonntag wird der 30-Jährige im Sommer seine dritte EM-Endrunde nach 2008 und 2012 erleben. Sein Konkurrent im Sturm heißt dabei Mario Götze.

Max Kruse hatte Löw nach mehreren Verfehlungen des Wolfsburgers schon vor den bisher einzigen Länderspielen im EM-Jahr gegen England (2:3) und Italien (4:1) aus dem Kader ausgeschlossen.

Weitere eindeutige Signale sickerten aus der Sportlichen Leitung um Löw und Teammanager Oliver Bierhoff zunächst nicht durch. Löw äußerte sich vor der Kaderbekanntgabe am Dienstag (13.00 Uhr) in der Französischen Botschaft in Berlin lediglich grundsätzlich: „Manchmal kann ein Überraschungsmoment durchaus taktisch sinnvoll sein und Energie für das gesamte Mannschaftsgefüge freisetzen.“

Vom rasenden David Odonkor über den Zweitligaspieler Marko Marin bis hin zu Shkodran Mustafi gab es diese immer wieder. Die kniffligsten Anrufe werden Löw und seine Assistenten Thomas Schneider und Andreas Köpke wie gewohnt erst in den letzten Stunden führen. „Gott sei Dank muss ich den Job nicht mehr machen“, sagte an Pfingsten der ehemalige DFB-Teamchef Rudi Völler. Absagen übermittelt niemand gerne.

„Das Leistungsprinzip steht über allem.“ Diesem Leitsatz folgt Löw. Aber nicht uneingeschränkt. Erfahrung, Verdienste, Teamfähigkeit, Perspektive, Vielseitigkeit - diese Faktoren fließen in die Auslese ein. Sie lassen Lukas Podolski (30) auf sein siebtes Turnier hoffen. Sicher ist: Löw wird zunächst mehr als 23 Akteure berufen, mit denen er am 24. Mai ins Trainingslager in der Schweiz reist.

20 Kandidaten scheinen fix. Die Weltmeister werden auch die Titelmission in Frankreich anführen. Die Helden von Rio haben einen Bonus: Löw setzt auf den Final-Schützen Götze. Der Bayern-Profi empfahl sich am letzten Bundesliga-Spieltag ebenso wie der Wolfsburger André Schürrle noch einmal als Doppeltorschütze.

Jérôme Boateng, Benedikt Höwedes und Julian Draxler sind nach Verletzungen wieder fit. „Der Bundestrainer wollte wöchentlich Updates“, berichtete Draxler von einem „regelmäßigen Kontakt“.

Spannend wird, wie Löw das Loch im defensiven Mittelfeld zu stopfen gedenkt. Das Turnier-Aus von Ilkay Gündogan war für den Bundestrainer „natürlich ein Rückschlag“. Der Dortmunder, der schon die WM 2014 verletzt verpasst hatte, war in der Zentrale ein Fixpunkt neben den Weltmeistern Toni Kroos, Mesut Özil, dem verletzungsanfälligen Sami Khedira und Wackelkandidat Schweinsteiger. Der Fitnesszustand des Kapitäns nach einer zweiten Innenbandverletzung im rechten Knie ist die größte Unbekannte. „Bastian ist extrem wichtig, wenn er in wichtigen Spielen dabei ist“, sagte Teamkollege Schürrle.

Schweinsteiger ist bei Manchester United weiter im Krankenstand. Dem 31-Jährigen fehlen Fitness, Form und Spielpraxis. Löw muss mehrere Alternativen nominieren und im Trainingslager testen. Weltmeister Christoph Kramer hat eine schwache Saison gespielt. Bayerns Joshua Kimmich, Dortmunds Julian Weigl, auch Schalkes Leon Goretzka wären Zukunftslösungen schon mit Blick auf die WM 2018. Emre Can könnte wie beim FC Liverpool auch im DFB-Team im Mittelfeld aushelfen.

Gündogans Art am nächsten käme jedoch ein echter Überraschungsmann. Gonzalo Castro spielt in Dortmund eine auffällige Rückrunde. Sein letztes von fünf Länderspielen unter Löw absolvierte der 28-Jährige übrigens im September 2007. Das wäre ein erstaunliches Comeback.

Die DeutschePresse-Agenturhat eine Kandidatenliste zusammengestellt.

Tor:

Fest eingeplant (2): Manuel Neuer (FC Bayern München), Marc-André ter Stegen (FC Barcelona)

Chancen (3): Bernd Leno (Bayer Leverkusen), Kevin Trapp (Paris St. Germain), Ron-Robert Zieler (Hannover 96)

Abwehr:

Fest eingeplant (7): Jérôme Boateng (FC Bayern München), Emre Can (FC Liverpool), Jonas Hector (1. FC Köln), Benedikt Höwedes (FC Schalke 04), Mats Hummels (Borussia Dortmund), Shkodran Mustafi (FC Valencia), Antonio Rüdiger (AS Rom)

Chancen (4): Erik Durm (Borussia Dortmund), Matthias Ginter (Borussia Dortmund), Sebastian Rudy (1899 Hoffenheim), Jonathan Tah (Bayer 04 Leverkusen)

Mittelfeld:

Fest eingeplant (9): Julian Draxler (VfL Wolfsburg), Sami Khedira (Juventus Turin), Toni Kroos (Real Madrid), Thomas Müller (FC Bayern München), Mesut Özil (FC Arsenal), Lukas Podolski (Galatasaray Istanbul), Marco Reus (Borussia Dortmund), André Schürrle (VfL Wolfsburg) - Sonderfall: Kapitän Bastian Schweinsteiger (Manchester United)

Chancen (8): Karim Bellarabi (Bayer Leverkusen), Julian Brandt (Bayer 04 Leverkusen), Gonzalo Castro (Borussia Dortmund), Leon Goretzka (FC Schalke 04), Joshua Kimmich (FC Bayern München), Christoph Kramer (Bayer Leverkusen), Leroy Sané (FC Schalke 04), Julian Weigl (Borussia Dortmund)

Angriff:

Fest eingeplant (2): Mario Götze (FC Bayern München), Mario Gomez (Besiktas Istanbul)

Chancen (2): Kevin Volland (1899 Hoffenheim), André Hahn (Borussia Mönchengladbach)