Neustädter nach EM-Debüt: „Wie ein Traum für mich“
Marseille (dpa) - Roman Neustädter hatte es eilig. „Ich darf den Bus nicht verpassen“, sagte der Schalker im Stade Vélodrome von Marseille. Genauso schnell, wie er den Sprung in die russische Fußball-Nationalmannschaft geschafft hatte, rauschte der 28-Jährige wieder davon.
Im Gepäck die wunderschönen Erinnerungen an sein Pflichtspieldebüt für die Sbornaja und die Freude über den Last-Minute-Ausgleich beim 1:1 (0:0) gegen Mitfavorit England. „Es ist wie ein Traum für mich“, sagte Neustädter. „Es ging alles ganz schnell, und ich bin froh, dass ich jetzt hier dabei bin und versuchen kann, der Mannschaft zu helfen und das Vertrauen zurückzugeben.“
Neustädter war erst Mitte Mai von Kremlchef Wladimir Putin per Präsidialerlass zum russischen Staatsbürger ernannt worden. Er wurde in der heutigen Ukraine geboren, sein Vater ist Ukrainer, die Mutter Russin. Neustädter absolvierte 2012 und 2013 lediglich zwei Freundschaftsspiele für Deutschland - und kann daher laut Regelwerk des Weltverbandes FIFA nun für Russland auflaufen.
In der von schweren Ausschreitungen überschatteten Partie kam der Mittelfeldspieler 80 Minuten lang zum Einsatz und zeigte eine solide Leistung. Immer wieder wurde der 1,90 Meter große Schlacks von seinen Mitspielern gesucht, brachte mit seiner Erfahrung aus der Bundesliga die nötige Ruhe ins vor allem in der ersten Halbzeit sehr zerfahrene Spiel der Russen.
Russlands Trainer Leonid Sluzki zeigte sich zufrieden mit dem ersten Pflichtspiel des eingebürgerten Deutschen. „Neustädter und Golowin haben auf einem sehr hohen Level gespielt und ihre Leistungen aus der Vorbereitung bestätigt“, sagte Sluzki über das Duo im defensiven Mittelfeld nach der Begegnung, in der Wasili Beresuzki in der Nachspielzeit den Ausgleich für den Gastgeber der WM 2018 erzielt hatte. Eric Dier hatte England in Führung gebracht (73. Minute).
Neustädter, der vor dem Spiel die Nationalhymne bereits sicher mitgesungen hatte, erlebte den Kopfballtreffer seines Kapitäns von der Ersatzbank aus. Der frühere Mainzer war zehn Minuten vor dem Ende ausgewechselt worden, weil Sluzki für die Aufholjagd auf Offensive setzte. Zusammen mit seinen Mitspielern konnte Neustädter sein Glück über das nicht mehr für möglich gehaltene Remis kaum fassen. „Das sind Emotionen pur. Alle wollten aufspringen, alle wollten hinrennen“, beschrieb er den Moment der Freude.
Dass es danach im Stadion zu hässlichen Szenen kam, weil russische Hooligans auf englische Anhänger einprügelten, bekam der Neu-Russe gar nicht richtig mit. „Ich habe nur gesehen, dass die Tribüne leer war, aber warum, weiß ich nicht“, sagte Neustädter - und verschwand zum Mannschaftsbus.