Sorge vor nationalen Zwischentönen bei Polen-Russland

Warschau (dpa) - Kein EM-Spiel wie jedes andere: Bei sportlichen Begegnungen zwischen Polen und Russland geht es auch um große Gefühle und wunde Punkte in der Vergangenheit. Schon der Zeitpunkt der Partie ist sensibel.

Die Russen feiern rings um das Spiel am Dienstag ihren Unabhängigkeitstag.

Großrussischer Jubel auf den Straßen von Warschau - da wäre Ärger vorprogrammiert. Ein Marsch russischer Fans zur Feier dieses Tages sorgt in Polen seit Tagen für Parteienstreit. Der russische Fanverband versuchte, die Situation zu entschärfen, indem er ankündigte, die Fans würden die roten Trikots ihres Teams tragen - nicht etwa T-Shirts mit Symbolen der ehemaligen Sowjetunion. Sowjetstern und Hammer und Sichel werden in Polen auch 23 Jahre nach dem Zusammenbruch des Kommunismus nicht gern gesehen.

Die russischen Spieler dürften in ihrem Hotel in der Warschauer Innenstadt am Sonntag auch das monatliche Treiben vor dem Präsidentenpalast mitbekommen haben: brennende Kerzen, trotzige Banner, Klagelitaneien, mit denen ein kleines Grüppchen unermüdlicher Verschwörungstheoretiker die „Wahrheit“ über den Absturz der polnischen Präsidentenmaschine über dem russischen Smolensk am 10. April 2010 forderte. Die Demonstranten waren - wie etwa fünf Prozent der Polen - von einem russischen Mordkomplott gegen Präsident Lech Kaczynski überzeugt.

Den meisten polnischen Passanten war das monatliche Spektakel peinlich. „Habt Ihr nichts Besseres zu tun?“ fragte eine elegant gekleidete ältere Dame. „Das wirft ein schlechtes Bild auf Polen“, empörte sich ein Mittfünfziger, dessen T-Shirt mit der Europafahne bedruckt war. „Dieses ganze Getue passt nicht in ein modernes Land.“

Aus Rücksicht auf polnische Befindlichkeiten wollten russische Fans aus Smolensk am Dienstag keine Fahnen mit der Aufschrift „Smolensk“ zur EM-Begegnung zwischen Polen und Russland ins Stadion bringen. Das berichtete die polnische Nachrichtenagentur PAP am Montag unter Berufung auf den russischen Fanverband.

Nahe der westrussischen Stadt Smolensk war im April 2010 das Flugzeug des damaligen polnischen Präsidenten Lech Kaczynski abgestürzt. Alle 96 Insassen kamen bei dem Unglück ums Leben.

Zuvor hatte der russische Sportjournalist Alexej Lebedew in seinem Blog geschrieben, russische Fußballfans wollten während der Nationalhymne Papierflugzeuge auf das Feld werfen und dazu ein Transparent mit der Aufschrift „Smolensk“ hochhalten.

Die Erschießung von rund 22 000 Polen im April 1940 in der westrussischen Region Katyn und weiteren Orten belastet zudem seit Jahrzehnten das bilaterale Verhältnis. Angehörige der Ermordeten bemühen sich vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte um eine posthume Rehabilitierung. Moskau hatte sich erst 1990 zu der Verantwortung bekannt.

Russland will die EM zu einer weiteren Entspannung in den Beziehungen nutzen. Bereits 2010 hatte der damalige Kremlchef Dmitri Medwedew mit dem ersten Staatsbesuch eines russischen Präsidenten in Polen seit 2002 nach dem tragischen Flugzeugabsturz ein Zeichen der Aussöhnung gesetzt. Nationaltrainer Dick Advocaat und der Chef des russischen Fußballverbands, Sergej Fursenko, legten am Sonntag Blumen an einer Gedenktafel für die Absturzopfer von Smolensk nieder.

Das traditionelle Russische Haus als Fan-Begegnungsstätte gibt es diesmal nicht. Die Pläne, die Sporthalle Torwar nahe des Warschauer Stadtzentrums dafür zu nutzen, wurde aufgegeben, nachdem die russischen Organisatoren erfuhren, dass 2010 hier die Särge der Absturzopfer aufgebahrt worden waren.

Kremlchef Wladimir Putin will eine weitere Annäherung und hat persönlich verfügt, russische Anhänger auf Staatskosten zu den Spielorten in Polen zu transportieren. Allerdings hat Moskau höchste Bedenken, dass gewaltbereite russische Fans in Polen alle Bemühungen konterkarieren könnten. In einem resoluten Offenen Brief forderte der Fußballverband des Riesenreichs daher die Anhänger der Sbornaja zu Wochenbeginn mit Nachdruck auf, sich anständig zu benehmen - und drohte Krawallmachern mit empfindlichen Strafen.