Lust auf Holland-K.o. riesig - Löw will Fluch brechen

Danzig (dpa) - Nach dem Glücksstart ins Turnier wächst bei den deutschen Titeljägern die Lust, dem Erzrivalen Holland einen frühen Turnier-K.o. zu versetzen.

Joachim Löw hat die Vorbereitung auf den heißen Gruppengipfel bei der Fußball-Europameisterschaft zur geheimen Kommandosache gemacht, nur die grundsätzliche Stoßrichtung verrät der Bundestrainer. Er setzt am Mittwoch im hochsommerlich warmen Charkow wohl komplett auf seine Portugal-Sieger um Matchwinner Mario Gomez und möchte sich taktisch keinesfalls an dem schon am zweiten Spieltag zum Erfolg verdammten Gegner ausrichten.

„Jeder weiß, Holland steht unter Druck. Aber wir müssen unser Spiel durchbringen, unser Spiel machen. Wir müssen unsere Qualitäten ins Spiel einbringen, das ist für mich das alles Entscheidende“, erklärte Löw in Danzig. Der 52-Jährige will unbedingt den Fluch des zweiten Spiels durchbrechen, der ihm bei seinen bisherigen Turnieren als DFB-Coach quälende Tage bereitete.

„Wir haben es schon erlebt, dass wir das erste Spiel gewonnen haben und uns im zweiten das Leben wieder schwer gemacht haben. Im dritten standen wir dann wieder unter einer großen Drucksituation. Wir werden versuchen, das zu vermeiden und schon alles klar zu machen gegen Holland“, erklärte Löw entschlossen.

Bei der EURO 2008 folgte auf den 2:0-Auftaktsieg gegen Polen ein 1:2 gegen Kroatien. Michael Ballack musste Deutschland und Löw mit seinem Freistoßtor beim 1:0 gegen EM-Gastgeber Österreich erlösen. Bei der WM 2010 gab es nach dem 4:0-Start gegen Australien eine 0:1-Pleite gegen Serbien. Wieder wurde gezittert, bis Mesut Özil gegen Ghana der umjubelte Distanzschuss zum 1:0-Sieg glückte.

Löw will das große Bangen diesmal umgehen. „Wer einen groben Schnitzer macht, wird bestraft“, mahnte er volle Konzentration an. „Wir haben mit dem ersten Sieg nur ein kleines Etappenziel erreicht.“ Um die Sinne noch zu schärfen, schottete er das Team schon zwei Tage vor der brisanten Partie gegen den Erzrivalen um Bayern-Stürmer Arjen Robben und Bundesliga-Torschützenkönig Klaas-Jan Huntelaar ab.

Beim Training waren erstmals auch die Medien komplett ausgeschlossen. Löw will die DFB-Auswahl ohne jede Störung auf die Kraftprobe einstimmen. „Die Holländer dürfen gegen uns nicht verlieren, das Spiel hat an Brisanz gewonnen“, beschrieb Gomez die Ausgangsposition. Liebe Grüße übermittelte er an den Vereinskollegen Robben: „In diesem Spiel werden wir keine Freunde sein.“

Gomez hat keine Zweifel an seinem erneuten Einsatz. Gelassen und selbstbewusst schmetterte er auch die unverhältnismäßige Kritik von ARD-Experte und Bayern-Reservetrainer Mehmet Scholl mit Verweis auf seine herausragende Torquote in den letzten Jahren ab. „Ich möchte wissen, warum ich mich ändern soll?“, fragte er verwundert.

Löw hob zwar ausdrücklich hervor, dass auch Miroslav Klose im Training „immer stärker“ werde. Aber er betonte gleich mehrfach, „dass Mario das entscheidende Tor gegen Portugal gemacht hat“. Personelle Änderungen plant der Bundestrainer wohl nicht. Es sei denn, „es gibt noch eine Eingebung für mich“, meinte er schmunzelnd. Man wisse doch, er sei „immer für Überraschungen gut“.

Bei der EM 2008 und der WM 2010 hatte Löw jeweils an der Siegerelf des ersten Spiels festgehalten. Zudem betonte er, dass alle Akteure „ohne größere Blessuren“ das Portugal-Spiel überstanden hätten: „Das ist das Erfreulichste. Es gibt keine Probleme.“

Die spielerisch mäßige Leistung gegen Portugal hat im deutschen Lager auch niemanden beunruhigt. „Es ist doch schön, wenn man gewonnen hat und trotzdem sagen kann: Wir können uns noch steigern, wir sind noch nicht bei hundert Prozent“, kommentierte Gomez.

Löw will von seinen Offensivspielern um Mesut Özil mehr sehen. „Nach vorne war noch nicht die Durchschlagskraft da.“ Dafür hob er die kollektiv gute Defensivarbeit hervor. „Die Abwehr ist immer das Sensibelste in einer Mannschaft. In der Qualifikation gewinne ich lieber mal 4:1, 5:2. Im Turnier ist es wichtig, die defensive Stabilität zu haben.“ Ergebnisfußball kommt vor Erlebnisfußball.

Den hatte die deutsche Elf bei ihrer 3:0-Gala gegen den WM-Zweiten im November 2011 geboten. „Bei den Holländern wird das ja wohl noch eine Rolle spielen“, sagte Lukas Podolski mit breitem Grinsen vor seinem 99. Länderspiel. Ein heißes Duell wird es auf jeden Fall.

Über 30 Grad warm ist es aktuell im ukrainischen Charkow, auch bis zur Anstoßzeit um 21.45 Uhr (Ortszeit) kühlt es kaum ab. „Ich will das überhaupt nicht thematisieren“, wiegelte Löw ab. Es gebe „keine Adaptionszeit“, ein Alibi soll das Wetter keinesfalls sein. Auch die Holländer würden am Dienstag aus dem kühleren Polen anreisen.

Herausfordernd ist auch die rasche Spielfolge. „Das ist ein harter Rhythmus, die Vorrunde in praktisch einer Woche durchzuziehen“, sagte Thomas Müller. Löw traut das aber selbst Bastian Schweinsteiger zu, der noch um seine Bestform ringt. Den Mittelfeldchef müsse man „nicht durchtragen“, weder körperlich noch mental, meinte der Bundestrainer: „Bastian ist absolut selbstbewusst, hat eine gute Körpersprache, ist ehrgeizig und siegesgewillt.“ Gerade gegen Holland.

Die voraussichtliche Aufstellung:

Neuer - Boateng, Hummels, Badstuber, Lahm - Khedira, Schweinsteiger - Müller, Özil, Podolski - Gomez