Stolz und Komplexe: Polen sucht das Lob der Welt
Warschau (dpa) - Schon Wochen vor Beginn der Fußball-Europameisterschaft tauchte die bange Frage auf polnischen Magazintiteln und Zeitungsseiten auf: „Wie werden sie uns sehen?“
Jedes neu auftauchende Problem, jede Verzögerung bei Stadion- und Autobahnbauten wurde sofort von einem kollektiven Raunen begleitet: „Es ist eine Schande - wir werden uns blamieren! Was wird die Welt über uns sagen?“ Der Komplex der möglichen Kritik aus dem Ausland sitzt tief in Polen.
Dass die durchgehende Autobahnverbindung zwischen Warschau und Berlin genau einen Tag vor der EM fertig wurde, war irgendwie sehr polnisch: Erst geht vieles schief, alle jammern, und dann klappt es doch noch, in letzter Minute. Wenn Unmögliches möglich gemacht werden muss, laufen Polen zur Höchstform auf. Nun hoffen die Polen auf das Lob der (Fußball-)Welt für all die Anstrengungen der letzten Jahre.
Für ein paar Wochen, während der EM, konzentriert sich der Blick Europas auf Polen, das in der Vergangenheit oft im Schatten der großen Nachbarn stand und unter ihnen gelitten hat. Nicht nur die hausgemachten Probleme lösten in Polen heftige Diskussionen aus, sondern auch eine Reportage der britischen BBC über Rassismus in den Stadien Polens und der Ukraine. „Rassismus? gibt's bei uns nicht!“ lautete schnell die reflexartige Reaktion. Es gehe doch nur um eine kleine Minderheit, die im Alltag keine Rolle spiele.
Doch dann, nach den Straßenschlägereien polnischer und russischer Hooligans, rückte genau diese Minderheit in den Mittelpunkt - und polnische Medien analysierten ausführlichst, wie nun in den Zeitungen des Kontinents über Polen berichtet wurde.
„Das grenzt bei uns an Besessenheit, alles auf die Meinung der Welt über uns zu geben“, seufzt die Warschauerin Marta, die mehrere Jahre in England und Spanien gelebt hat. „Es kommt mir manchmal wie ein großer Minderwertigkeitskomplex vor.“
„Unsere Komplexe haben ein neues Entwicklungshoch erreicht“, kommentierte auch Michal Kobosko, Chefredakteur des Magazins Wprost, das gewissermaßen als Gegenmedizin die Kampagne „Polen ist okay!“ gestartet hat. „Überempfindlich für alles, was andere über uns sagen, reagieren wir hysterisch, wenn sie anfangen, uns zu kritisieren.“
Denn die Polen haben auch Stolz - und davon jede Menge. Nichts schmerzt die patriotischen Polen mehr, als wenn ihr Land nicht genügend gewürdigt wird, als „armer Nachbar aus dem Osten“ abgetan wird. Polen war in seiner Geschichte wiederholt von der Landkarte Europas verschwunden - doch Generationen von Polen kämpften gegen zaristische Truppen, gegen Nazis, gegen den Stalinismus. „Wir standen auf der richtigen Seite der Geschichte“, ist in Polen oft zu hören.
Zwischen Stolz und der Angst, nicht ganz mithalten zu können, schwanken die Gefühle auch vor dem letzten, entscheidenden Vorrundenspiel der polnischen Mannschaft gegen Tschechien. Den meisten Fußballinteressierten ist klar, dass die „Weiß-Roten“ es ohne ihre Gastgeberrolle kaum durch die Qualifikation geschafft hätten. In den Stadien und Fanzonen aber schreien und singen sie, was die Stimmbänder hergeben. In den letzten Spielminuten auch gerne die trotzig-kämpferische Nationalhymne, die mit den Worten beginnt: „Noch ist Polen nicht verloren.“