Euro 2020 Das sind die neuen Gesichter dieser EM
Talente wie Phillips, Pedri oder Dolberg stellen mit erfrischenden Auftritten die altbekannten Stars in den Schatten.
Aus deutscher Sicht verlief die Fußball-EM eher enttäuschend – nur Robin Gosens darf sie persönlich als Gewinn abhaken, weil er mit seinem Auftreten und seiner Leistung auf und neben dem Platz Anerkennung und Sympathie erwarb. Ein neues Gesicht, wie einige weitere bei dieser EM: Hier folgen die Fußballer, die hierzulande bis dato kaum einer auf dem Schirm hatte, die sich aber nun in den Fokus der internationalen Szene gespielt haben – und zum Teil auch in die Herzen.
#14 Kalvin Phillips (England, 25 Jahre, zwölf Länderspiele).
Seine Geschichte ist in jeder Hinsicht besonders. Nicht nur, weil er bisher alle wichtigen Minuten für den Finalisten dieses Turniers mitgemacht hat (nur im Viertelfinale wurde er mal ausgewechselt - beim Stand von 4:0 gegen die Ukraine). Sondern auch aus folgendem Grund: Der Stammspieler der Engländer im zentralen Mittelfeld hatte bis zu jenem Zeitpunkt im Sommer 2020, als die EM eigentlich losgehen sollte, noch kein einziges Länderspiel absolviert, nicht mal ein Erstligaspiel. Phillips kickt seit seiner Jugend ununterbrochen für Leeds United, den zwischendurch tief gestürzten Traditionsklub aus der rauen Arbeiterstadt in Nordengland. Dort ist er aufgewachsen in einem heruntergekommenen kleinen Haus als Sohn einer irischen Mutter und eines jamaikanischen Vaters, der oft auf die schiefe Bahn geriet und aktuell auch im Gefängnis einsitzt. Seine Mutter brachte ihn und drei Geschwister mit zwei Jobs durch, Phillips biss sich durch bis zum Profifußballer: mit großem Willen und Zweikampfhärte, aber auch mit feiner Technik und Übersicht. Sein erstes Länderspieltrikot schenkte er seinem Klubtrainer: Marcelo Bielsa („El Loco“ – der Verrückte) soll 2018 zum Start bei Leeds zu Phillips gesagt haben: „Erstens: Du bist nicht mehr offensiver, sondern defensiver Mittelfeldspieler. Zweitens: Du nimmst ab.“ Es folgten der Aufstieg und Platz neun in der Premier-League – Nationaltrainer Gareth Southgate kam nicht mehr vorbei am „Yorkshire-Pirlo“, wie ihn die Fans in Leeds liebevoll nennen.
Nun begeistert er als Antreiber, Aggressive Leader und Spielgestalter, während Stars von großen Klubs wie Phil Foden oder Jadon Sancho auf der Bank sitzen. Trifft Phillips, küsst er stets sein Tattoo auf seinem Oberarm, das seine mit wenigen Monaten verstorbene Zwillingsschwester Lacreasha zeigt. Tut er das auch im EM-Finale gegen Italien, würde er sein erstes Länderspieltor feiern …
#26 Pedri (Spanien, 18 Jahre, zehn Länderspiele).
„Er ist einzigartig. Wir haben keinen zweiten wie ihn.“ Das sagt Spaniens Nationalcoach Luis Enrique über den gerade einmal 18-Jährigen, der nach seiner ersten Saison beim FC Barcelona schon als legitimer Nachfolger von Lionel Messi gilt und sich bei der EM auch international in den Fokus gespielt hat. Pedri absolvierte alle EM-Spiele für sein Land über die volle Distanz, nur gegen die Schweiz wurde er eine Minute vor dem Elfmeterschießen ausgewechselt.
Der in Tegueste auf Teneriffa geborene Pedri spielte bis Sommer 2020 noch zweitklassig bei UD Las Palmas (Gran Canaria). Er war bei der EM für Spanien der Spieler, der die meisten Pässe ins letzte Angriffsdrittel anbrachte und auch die meisten Torchancen auslöste: Beim 5:0 gegen die Slowakei spielte er bei drei Toren den einleitenden vorletzten Pass. Nach 120 Minuten im Halbfinale gegen Italien hatte er eine Passquote von 97 Prozent – und auch sein Rückpass auf Unai Simon war ja angekommen, den der Torhüter unter seinem Fuß durchrutschen ließ, was als Eigentor durch Pedri gewertet wurde. Bis dato ist Pedri zudem der laufstärkste Spieler der EM– dabei hat er sogar den nächsten Newcomer in den Schatten gestellt….
#15 Tomas Soucek (Tschechien, 26 Jahre, 40 Länderspiele).
Gilt Patrick Schick als Vollstrecker des Spiels der Tschechen, dann ist Tomas Soucek der Motor. Der aus Slavia Prags Jugend stammende und nun für West Ham United (London) kickende Mann mit den zweitbesten Laufleistungen der EM begeisterte als Antreiber, Zweikampfsieger und Initiator von Angriffen. Erst als er nach einem heftigen Zusammenprall im Viertelfinale einen Kopfturban verpasst bekam und abbaute, war der Weg für Dänemark ins Halbfinale frei.
#14 Mikkel Damsgaard (Dänemark, 21 Jahre, 8 Länderspiele).
Sein starker Freistoßtreffer aus 24 Metern im Halbfinale war nicht nur das erste Gegentor für England bei diesem Turnier, sondern auch der erste direkt verwandelte Freistoß des Turniers. Und: Mit 21 Jahren ist Damsgaard der jüngste Fußballer seit 40 Jahren, dem ein direktes Freistoßtor bei Welt- und Europameisterschaften gelungen ist. Ein Beleg dafür, wie der dem FC Nordsjaelland entstammende und nun für Sampdoria Genua spielende Youngster Verantwortung übernommen hat: Auch als Spielgestalter war insbesondere er gefordert nach dem Ausfall von Christian Eriksen.
#12 Kasper Dolberg (Dänemark, 23 Jahre, 30 Länderspiele).
Seine Geschichte ist vergleichbar mit jener Damsgaards: Der Stürmer des OGC Nizza kam erst in der dritten EM-Partie aufs Feld – und zeigte eine starken Auftritt beim 4:1 gegen Russland, schoss zwei Tore beim 4:0 gegen Wales und einen Treffer beim Viertelfinalsieg gegen die Tschechen. Dolberg traf schon 2017 bei Ajax Amsterdam unter Trainer Peter Bosz 16-mal in der Eredivisie, wurde als Talent des Jahres in den Niederlanden geehrt, bekam aber nach Boszs Abgang, einer Verletzung und der Rückkehr von Altstar Klaas-Jan Huntelaar zu Ajax kaum noch Spielpraxis. Nun nutzte er seine Chance nach der Verletzung seines Teamkollegen Yussuf Poulsen – wie es Teamkollege Mikkel Damsgaard (21) auch tat: als Spielgestalter nach Christian Eriksens Ausfall mit dem Höhepunkt des Freistoßtores im Halbfinale gegen England.
#5 Manuel Locatelli (Italien, 23 Jahre, 14 Länderspiele).
Neben dem verletzt ausfallenden Leonardo Spinazzola und Federico Chiesa eine der Entdeckungen Italiens, dessen Trainer Roberto Mancini die Einsatzzeiten auf viele verschiedene Schultern verteilt: Der bei Sassuolo Calcio in der Provinz aktive Mittelfeldmann erledigte mit zwei Toren die Schweiz beim 3:0 fast allein – bei den Siegen gegen Österreich (nach Verlängerung) und Spanien (im Elfmeterschießen) brachte er von der Bank neuen Schwung ins Spiel der Squadra Azzura.
#14 Federico Chiesa (Italien, 23 Jahre, 32 Länderspiele).
Je länger das Turnier dauert, desto stärker wird der trickreiche und abschlussstarke Offensivspieler von Juventus Turin, der mit einer starken Bewegung plus präzisem Abschluss gegen die Spanier traf und auch abseits davon mit enormer Laufstärke und Präsenz am Ball überzeugte. Bis dato in jedem EM-Spiel am Ball.
Aufgefallen, aber meist früher ausgeschieden sind zudem Roman Yaremchuk (25, Ukraine, KAA Gent) als Teil eines guten Sturmduos mit Andrij Jarmolenko, Denzel Dumfries (25, Niederlande, PSV Eindhoven) als Rechtsverteidiger mit starkem Offensivdrang, Billy Gilmour (20, Schottland, Norwich City), der mit einem starken Auftritt in der Vorrunde beim 0:0 die Engländer aus dem Tritt brachte, und Robin Olsen (31, Schweden, AS Rom) als starker Rückhalt der Schweden.