Verhaltene Fußballfreude und eine Lektion in Fankultur

Paris (dpa) - Plötzlich ist Sommer. Nach langem Grau hat sich Mitte der Woche die Hitze in Paris eingenistet, zumindest für kurze Zeit. Auch sonst erscheint die Lage im EM-Land nach Ende der Gruppenphase ein wenig heller.

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Die Gewaltszenen der ersten Turniertage in Marseille haben sich nicht wiederholt, die Streiks sind weitgehend im Sande verlaufen. Und die französische Mannschaft schlägt sich ordentlich. „Das Fest beginnt“, titelt die französische Sportzeitung „L'Équipe“ am Donnerstag mit Blick auf die K.o.-Runde, die am Samstag beginnt.

„Die Stimmung wird jeden Tag besser“, beobachtet Nino Galetti, Pariser Büroleiter der Konrad-Adenauer-Stiftung. Er hält es für völlig normal, dass die Franzosen nicht auf Knopfdruck auf EM geschaltet haben - das sei bei der WM 2006 in Deutschland auch nicht anders gewesen. „In Paris zumindest ist etwas angekommen.“

Bei der Party stechen bislang allerdings vor allem die ausländischen Fans heraus. „Eins ist klar, Frankreich mit seinen nicht immer richtig lebendigen Stadien erhält eine echte Lektion in Fantum“, resümiert „France Football“.

In Lille schwärmte ein Taxifahrer am Tag vor dem letzten französischen Gruppenspiel davon, wie zuvor die deutschen Fans für Stimmung gesorgt hätten. Als Musterfans werden vor allem die Iren bejubelt, denen Fußball-Frankreich zu Füßen liegt - obwohl das Team von der grünen Insel nun der Achtelfinalgegner der Équipe tricolore ist. Zum Renner im Internet wurde ein Video aus Bordeaux, wo gut gelaunte Iren die französische Polizei besangen: „Stand up for the French police“.

Von Begeisterung für „les Bleus“ ist dagegen abseits der Stadien und Sportbars weiterhin nur wenig zu spüren. Man sei an gewissen Orten weit vom Fieber der WM 1998 entfernt, urteilt die Zeitung „Le Monde“.

Nun waren die Franzosen auch eher skeptisch in das Turnier gegangen, je nach Umfrage glaubten vor der Eröffnung gerade 9 bis 15 Prozent an einen EM-Sieg. Und die Sportzeitung „L'Équipe meinte, auch in der Gruppenphase habe das französische Team noch nicht viel von sich preisgegeben und bleibe ein Rätsel. Immerhin, Frankreich ist bei mehreren Wettanbietern Favorit. Und auf der Fanmeile am Eiffelturm zittern immer mehr Fans mit der Équipe - beim Spiel gegen die Schweiz am Sonntag kam sie mit 90 000 Zuschauern erstmals fast an ihr Limit.

Frankreich hat auch eine andere Fankultur: Das wochenlange Beflaggen ganzer Häuserzeilen ist hier schlicht nicht üblich. Selbst nach einem Sieg strömen die Fans aus dem Stadion ohne größere Sprechchöre nach Hause, wenn nicht gerade eine TV-Kamera draufhält. Und das Land ist keine reine Fußballnation. „Der Fußball hat nicht dieses Alleinstellungsmerkmal wie in Deutschland“, sagt Nino Galetti - so ist für gar nicht so wenige Franzosen Rugby viel wichtiger. Und natürlich sind die Terrorsorgen nicht verdrängt.

Trotzdem spüren auch Franzosen einen EM-Effekt: „Ich finde, das bringt eine echte Entspannung“, sagt Xavier Delette, Leiter eines Pariser Konservatoriums, der gerade als Dirigent ein „Match-Konzert“ zum EM-Spiel Spanien-Kroatien leitete.

Die Zeitung „Le Monde“ zog schon vor einigen Tagen eine positive Bilanz: „Ohne die Schwere der Gewalt in Marseille kleinreden zu wollen (...), die Journalisten der Monde haben seit Beginn des Turniers vor allem Momente kollektiven Jubels beobachtet.“ Bleibt abzuwarten, ob auch das eigene Team in der K.o.-Runde Jubelstürme auslösen kann - und auch nicht eingefleischte Fußballfans Trikot oder Fahne rausholen.