„Wie ein großes Team“ - Modric dirigiert Kroatien zum Sieg

Paris (dpa) — Neben den großen Stars des Fußballs sieht der kleine Mozart manchmal etwas verloren aus. „Kleiner Mozart“ ist der Spitzname des kroatischen Spielmachers Luka Modric, ein Genie von eher schmächtiger Statur.

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1,72 Meter Körperlänge, bloß 64 Kilogramm Gewicht. Dazu eingefallene Wangen und ein manchmal sehr trauriger Blick. Wer Modric zum ersten Mal sieht, kann sich kaum vorstellen, dass er einen Cristiano Ronaldo oder Toni Kroos bei Real Madrid mit Pässen versorgt oder den Ball auf einer großen Bühne wie dieser EM mal eben aus 25 Metern volley ins gegnerische Tor drischt.

Genau das passiert aber gerade in diesem Sommer. Ende Mai gewann Modric mit Real zum zweiten Mal die Champions League. Jetzt hat er bei der Europameisterschaft in Frankreich gleich den nächsten Titel im Blick. „Ich will mit Kroatien endlich einmal ein großes Turnier gewinnen oder zumindest ganz weit kommen“, sagte der 30-Jährige bereits vor dem ersten Spiel. Nach dem 1:0 (1:0)-Sieg gegen die Türkei, bei dem er am Sonntag in Paris ein „magisches Tor“ (Trainer Ante Cacic) schoss, meinte er dann: „Wir haben gespielt wie ein großes Team und ich denke: Wir sind ein großes Team.“

Über solche Aussagen lacht bei der Euro niemand. Diese kroatische Mannschaft hat tatsächlich alles, was man braucht, um weit zu kommen. Der Spielmacher spielt bei Real, sein Partner im Mittelfeld beim FC Barcelona (Ivan Rakitic). Über die Flügel greifen zwei Spieler von Inter Mailand (Ivan Perisic, Marcelo Brozovic) an, im Zentrum lauert ein früherer Bayern-Stürmer von Juventus Turin (Mario Mandzukic).

Gegen die Türkei fiel nur auf, wie sehr Modric selbst aus dieser Ansammlung exzellenter Individualisten noch einmal herausragt. Er spielte 59 Pässe, von denen 52 auch ankamen. Wenn der kleine Mozart trifft, hat Kroatien in mittlerweile elf Spielen noch nie verloren.

„Modric ist einzigartig. Er erahnt schneller als jeder andere, was auf dem Feld passiert“, sagte Zvonimir Boban einmal. Mit ihm als Spielmacher wurden die Kroaten bei der WM 1998 Dritter.

Dieses Gespür für den richtigen Akzent zur richtigen Zeit hat Modric nach dem Spiel gezeigt. „Wir dürfen jetzt nicht in Euphorie verfallen und denken, wir hätten schon etwas erreicht“, sagte er. Auch Trainer Ante Cacic bekannte vor dem nächsten Spiel am Freitag: „Ich habe vor den Tschechen mehr Angst als vor der Türkei.“

Beide wissen genau, dass zu viel Lob und vor allem Eigenlob den Kroaten in ihrer Turnier-Geschichte selten bekommen ist. Unvergessen, wie sie im Viertelfinale der EM 2008 gegen die Türkei kurz vor dem Ende der Verlängerung in Führung gingen und trotzdem verloren. Eine Warnung ist auch der Verlauf der Weltmeisterschaft 2002, bei der Kroatien den großen Nachbarn Italien besiegte und sich danach vier Tage im Glanz dieses Erfolges sonnte. Anschließend verlor man gegen Ecuador und musste schon nach der Vorrunde nach Hause fliegen.

Die aktuelle Generation, heißt es, gehe deutlich professioneller und konzentrierter in so einen Wettbewerb. Modric, Rakitic und Co. sind schließlich über Jahre in ihren großen Vereinen genau darauf gedrillt worden. „Die Atmosphäre im Team ist großartig - vom ersten bis zum letzten Spieler“, sagte Modric. Wie stark der Zusammenhalt ist, demonstrierten diese Spieler noch am Abend aus traurigem Anlass.

Der Vater von Darijo Srna war am selben Tag verstorben. Der Kapitän des Teams reiste noch von Paris aus zur Beerdigung nach Kroatien. Alle Spieler und Betreuer stellten sich daraufhin für ein Foto zusammen, posteten das im Internet und schrieben dazu: „Lieber Kapitän, wir sind mit dir und deiner Familie.“ Der kleine Mozart steht ganz vorne auf diesem Bild. Damit man ihn nicht übersieht.