EM-Wohnen Wie sich das WG-Leben der Nationalmannschaft gestaltet
Herzogenaurach · Die Quartierwahl ist Frage eines nationalen Interesses. In Russland lag der DFB daneben, als legendär gilt das Campo Bahia. Daran hat man sich nun in Herzogenaurach orientiert.
Wenn sich die deutschen Nationalspieler zeitweise mit neuen Wohnbegebenheiten arrangieren müssen, ist das eine Frage deutschlandweiten Interesses. Das kasernenartige Ressort Watutinki brachte es 2018 zu trauriger Berühmtheit.
Der Zweckbau vor den Toren Moskaus wird gerne geltend gemacht, wenn es um die desolaten Auftritte der deutschen Mannschaft in Russland geht. Dabei hatte sich Herbergsvater Oliver Bierhoff vier Jahre zuvor noch selbst übertroffen, als er die besten Fußballer Deutschlands im Campo Bahia untergebracht hatte.
Die Stars wohnten damals in Wohngemeinschaften. Bayerns Bastian Schweinsteiger und Dortmunds Kevin Großkreutz bildeten beispielsweise eine WG, die in ihrer Eigentümlichkeit den Vergleich mit vielen Studenten-Wohnungen nicht zu scheuen braucht.
Zu Berühmtheit brachten es auch das Trainingslager am Schluchsee 1982, das den meisten Fußballfans aufgrund trinkfreudiger Nationalspieler den meisten Fans als Vorbereitung am Schlucksee in Erinnerung geblieben ist. Am Ende wurde die Mannschaft trotzdem immerhin Vize-Weltmeister. Ein Camp kann kein Turnier gewinnen – sie aber möglicherweise verlieren.
Im Falle der nun beginnenden Europameisterschaft scheint dies zumindest dann nicht zu befürchten, wenn man dem in Herzogenaurach residierenden DFB-Tross Glauben schenken darf. Mit dem örtlichen Sportartikelhersteller Adidas hat ein langjähriger Sponsor des Verbandes der Mannschaft Unterkünfte spendiert, die stark an das Campo Bahia erinnern. Praktisch Campo Herzo (wie sich Herzogenaurach der Einfachheit halber gerne in Touristenbroschüren nennt).
Auf dem riesigen Gelände von Adidas stehen nun neben 15 neuen Wohneinheiten unter anderem noch ein Speisesaal und ein sogenannter Marktplatz, der den Spielern als Begegnungsstätte dienen soll. In die Wohnungen sind am Dienstag jeweils drei bis vier Spieler eingezogen, wobei man sich die Bildung der Hausgemeinschaften als eigentümliches Casting vorstellen kann.
Die sieben Nationalspieler mit den meisten Länderspielen bildeten ihre Wohngemeinschaften aus einer Mischung aus Losverfahren und Geschacher. Ilkay Gündogan beispielsweise hat sich „Mühe gegeben, dass Emre auch noch in meinem Haus ist.“ Gündogan war erfolgreich, Can schläft unter seinem Dach.
Die restlichen Wohnungen – vom DFB wahlweise auch als Container oder Villen bezeichnet – werden vom Rest des DFB-Trosses bewohnt. Praktisch und gleichzeitig edel sei die Einrichtung, große Fenster sollen zur offenen Atmosphäre beitragen.
Publikumsverkehr aber herrscht nicht im Camp der Mannschaft, das Team lebt während den Turnieren nicht erst seit Corona eher abgeschottet. Nach der Europameisterschaft aber können immerhin Mitarbeiter das Gelände beispielsweise als Tagungszentrum nutzen. Ebenso ist es angedacht, auch andere Teams aus unterschiedlichen Sportarten im „Campo Herzo“ unterzubringen.
Nicht alle werden freilich die Freizeitmöglichkeiten dort so zu schätzen wissen wie die Nationalspieler. Die nutzten den freien Mittwoch, um die hiesigen Sportanlagen in Betrieb zu nehmen. So befinden sich auf dem Gelände beispielsweise zwei extra geschaffene Padel-Tennis-Plätze, eine Art Tennis Käfig. Manuel Neuer und Thomas Müller taten sich dabei als Doppel hervor, wie die vom DFB verbreiteten Fotos vermuten lassen.
Der obligatorische Pool wird sich bei dem angekündigten sommerlichen Wetter auch großer Beliebtheit erfreuen. So bedankte sich auch Bierhoff artig beim Sponsor, dass dieser „Voraussetzungen geschaffen hat, wie es besser nicht geht“. Begrüßt wurde das Team am Dienstag von Adidas-Chef Kasper Rorsted.
Am Donnerstagabend wiederum stand für die Mannschaft noch eine Video-Schalte mit Bundeskanzlerin Angela Merkel an. Wie vor den vorangegangenen Turnieren auch, sucht die Regierungschefin den Austausch mit Deutschlands wichtigster Mannschaft. Das zeige, dass das Turnier eine „Angelegenheit von nationalem Interesse“ sei, so Bierhoff. Fast genauso wichtig ist die Quartierwahl. Ob sie als gelungen bezeichnet werden kann, steht erst nach dem Turnier fest. Ein zweiter Schlucksee allerdings ist in Herzogenaurach nicht zu erwarten.