Spektakel ohne Happy End: BVB schiebt Frust
Liverpool (dpa) - Die Mienen sagten mehr als tausend Worte. Missmutig und einsilbig bestiegen die Dortmunder Profis am Morgen nach dem Alptraum von Liverpool den Flieger Richtung Heimat. Der graue Himmel über dem John Lennon Airport passte zur Stimmung.
Das 3:4 (2:0)-Spektakel im Viertelfinal-Rückspiel der Europa League schlug allen Beteiligten noch immer mächtig aufs Gemüt. Auch Club-Präsident Reinhard Rauball, der wegen des DFB-Bundestages das Spiel am TV verfolgt hatte, machte in Frankfurt aus seinem Frust keinen Hehl. „Das war die schlimmste Niederlage, die ich meiner Zeit beim BVB erlebt habe. Das kommt noch vor Wembley“, sagte er mit Verweis auf die Champions-League-Schlappe 2013 gegen den FC Bayern.
Die Dortmunder werden länger brauchen, um dieses Drama zu verkraften. Wer eine solch spektakuläre und bittere Niederlage kassiert, geht nicht en passant zur Tagesordnung über. Für Kapitän Mats Hummels war es ein „herber Rückschlag“, für Vereinschef Hans-Joachim Watzke eine „tiefe Enttäuschung“, für Trainer Thomas Tuchel ein „verpasster Meilenstein“.
Mit hängenden Köpfen waren die Profis nach dem Europa-League-Aus Richtung Kabine geschlichen, während der einstige BVB-Coach Jürgen Klopp im bebenden Anfield die Ovationen der heimischen Fans genoss. Binnen weniger Minuten war der Stolz der Borussen über eine famose Vorstellung und eine scheinbar sichere 2:0- sowie 3:1-Führung in Entsetzen umgeschlagen.
Der Treffer von Dejan Lovren (90.+1) in der Nachspielzeit riss sie aus allen Träumen vom Einzug in das zum Greifen nahe Halbfinale der Europa League. Weltmeister Hummels fand deutliche Worte: „Wir haben auf einmal Schiss bekommen. Das war der realistischste Titel, der in dieser Saison rumlag. Ich dachte eigentlich - das muss ich zugeben -, dass wir das Ding holen.“
Auch Roman Weidenfeller schob mächtig Frust. „Wir hatten 2013 das Glück, in ähnlicher Form den FC Malaga zu schlagen, diesmal war es nicht auf unserer Seite“, klagte der Torhüter mit Bezug auf den unvergessenen Last-Minute-Erfolg (3:2) über die Spanier. „Ich hätte mir gewünscht, dass es noch ein bisschen weiter in der Europa League gegangen wäre.“
Nur vier Tage nach der beim 2:2 im Revierderby auf Schalke wohl endgültig verspielten Meisterschaft musste der BVB den zweiten Titel abschreiben. Viel Zeit zur Frustbewältigung bleibt nicht. Schon am Mittwoch steht im Pokal-Halbfinale bei Hertha BSC die nächste wichtige Herausforderung an. Eine neuerliche Pleite könnte die bisher gute Stimmung deutlich trüben und die Vertragsverhandlungen mit Stars wie Hummels, Ilkay Gündogan und Henrich Mchitarjan erschweren. „Uns mit solch negativen Szenarien zu beschäftigen, wäre das Schlimmste, was wir im Moment tun könnten“, sagte Tuchel.
Doch der Fußball-Lehrer ahnt, welch knifflige Aufgabe in den kommenden Tagen auf ihn zukommt. Erstmals seit seinem Amtsantritt beim BVB im vorigen Sommer droht eine heikle Phase: „Es wird nun entscheidend sein, wie wir als Gruppe damit umgehen. Das ist für uns alle eine Zeit, in der wir uns auch neu kennenlernen.“
Ein Erfolg über Hertha BSC soll helfen, einen Klimawechsel abzuwenden. „Die Enttäuschung müssen wir spätestens am Mittwoch in Energie umwandeln. Damit uns diese Energie so auf dem Platz stehen lässt, dass wir das nächste große Ziel erreichen - das Pokalfinale,“ forderte Tuchel. Um dieses Vorhaben nicht zu gefährden, dürfte der Coach im Bundesligaspiel am Sonntag gegen den Hamburger SV wie schon auf Schalke zahlreiche Profis schonen.
Anders als Tuchel hatte Klopp allen Grund zur Freude. Schließlich wahrte der FC Liverpool mit dem Einzug in das Halbfinale, wo nun der FC Villarreal wartet, die Chance auf den Titelgewinn und damit auf die aus finanziellen Gründen immens wichtige Qualifikation für die Champions League. Eine bessere Dramaturgie hätte sich der einstige Dortmunder Trainer kaum wünschen können.
Seine Profis erwiesen sich als Mentalitätsmonster, drehten die Partie und bescherten ihrem neuen Trainer den größten Triumph seit seinem Start an der Merseyside im Oktober. „Es war eine wundervolle Nacht“, schwärmte Klopp, „so etwas passiert selten. Aber wenn es passiert, vergisst du es nie.“
In den englischen Medien wurde der Coach entsprechend gefeiert. „Der Tag, an dem Jürgen Klopp seine Reise von Gelb zu Rot beendete“, schrieb das englische Boulevardblatt „Sun“. Und im „Mirror“ war zu lesen: „Jürgen Klopp hat sich heute Nacht selbst in die Folklore Liverpools eingereiht - die Fundamente für eine neue Ära des Erfolges sind gelegt.“