Gibraltarer vor dem Spiel ihres Lebens
Nürnberg (dpa) - Sie sind Studenten, Feuerwehrleute, Angestellte - doch am Freitag stehen die Hobbykicker aus Gibraltar keinem Geringeren als dem Weltmeister Deutschland gegenüber.
Normalerweise bewacht Roy Chipolina die Grenzen von Gibraltar, als Zollbeamter ist er dann auf Patrouille und macht Jagd auf Drogenschmuggler. Kyle Casciaro ist Produktionsleiter eines Schifffahrtsunternehmens, von Montag bis Freitag im Einsatz, an Wochenenden oft in Rufbereitschaft. Rafael Bado arbeitet in einem Lager. Wenn das Nationalteam Gibraltars auf Deutschland trifft, ist das Trio Teil einer der größten Underdog-Geschichten im Fußball. Für die Freizeit-Kicker vom Mittelmeerfelsen ist es das Spiel ihres Lebens.
„Manchmal muss ich mich selbst kneifen“, sagt Kapitän Chipolina, in Nürnberg keine Kriminellen, sondern die Weltmeister Thomas Müller und Mario Götze stoppen soll. Ein Klassenunterschied? „Uns trennen zehn Welten!“, betont der 31-Jährige, „aber eines Tages kann ich meinen Enkeln davon erzählen.“
Fast alle der für die vierte Partie der EM-Qualifikation nominierten Akteure von Coach Allen Bula spielen und trainieren in den zwei Ligen Gibraltars - und das bei kuriosen Bedingungen: Yogen Santos und Jeremy Lopez etwa absolvieren eines von drei wöchentlichen Trainings mit dem Erstligisten Manchester 62 FC auf dem Parkplatz hinter einem Hotel. „Oder wir laufen einfach auf der Straße“, sagt Lopez. „Können Sie sich vorstellen, dass Bastian Schweinsteiger so etwas macht?“
Aber Improvisieren gehört in Gibraltar zum Alltag, kein Wunder, hat das britische Überseegebiet doch nur einen einzigen Fußballplatz. Und weil dieser den UEFA-Vorgaben nicht entspricht, muss Gibraltar die Heimspiele im 300 Kilometer entfernten Faro in Portugal bestreiten - am 13. Juni des nächsten Jahres ist Deutschland dort zu Gast.
Zunächst steht das Nürnberg-Match an, das für viele ganz persönlich ein logistischer Kraftakt war. Für die Trips durch Europa müssen die Angestellten, Lehrer, Studenten und Feuerwehrleute nämlich Urlaub nehmen, bei zehn Länderspielterminen im Jahr kommen dabei gut und gerne 50 Tage zusammen. „Die Balance zwischen Fußball, Job und Familie ist ohnehin schon schwer“, berichtet Chipolina, „und dann geht auch noch der Jahresurlaub für Fußball drauf, so dass man seiner Frau erzählen muss, dass die Ferien in diesem Jahr ausfallen.“
Bei ihren bisherigen Partien gegen Polen (0:7), Irland (0:7) und Georgien (0:3) haben die Kicker des jüngsten UEFA-Mitgliedsverbands bereits ordentlich Tore eingeschenkt bekommen. Gegen Deutschland hofft Keeper Jordan Perez auf maximal sechs - und damit weniger als Rekordweltmeister Brasilien im WM-Halbfinale im Sommer. „Angst hat hier keiner!“, tönte Perez in der Münchner „TZ“ und will ganz nebenbei mit Welttorhüter Manuel Neuer das Trikot tauschen. Ob es dazu kommen wird ist fraglich, zuletzt saß der hauptberufliche Feuerwehrmann nur noch auf der Bank, und Jamie Robba stand im Tor.
Im Team der Namenslosen, in dem Rechtsverteidiger Scott Wiseman als einziger Profi in der dritten englischen Liga spielt, fallen die Namen Chipolina und Casciaro auf. Das liegt daran, dass es sie gleich mehrfach gibt. Im Mittelfeld und Sturm baut Coach Bula auf Torjäger Kyle Casciaro, der im Juni beim 1:0 im Test gegen Malta für den ersten Sieg in Gibraltars Geschichte sorgte, und dessen zwei Brüder Lee und Ryan - beides Polizisten. Defensiv sollen es Roy Chipolina und sein Verwandter Joseph, ein Verwaltungsangestellter, richten.
Dass der Fußball-Zwerg eine Klatsche kassiert, davon ist auszugehen. Coach Bula und seine Spieler sind dennoch schon als Sieger angereist. „Wir spielen gegen den Weltmeister, damit ist für mich schon ein Traum in Erfüllung gegangen“, sagte Bula dem „Münchner Merkur“. „Ich habe meinen Jungs gesagt, sie sollen das Match genießen“,