Günter Netzer: Der „König vom Bökelberg“ wird 70

Düsseldorf (dpa) - Die blonde Mähne war und ist Günter Netzers Markenzeichen. Der erste Popstar des deutschen Fußballs wird nun 70 Jahre alt.

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Ferrari-Fahrer, Inhaber der Mönchengladbacher Diskothek Lovers Lane, wo auch Udo Jürgens oder Elke Sommer zu Gast waren. Er wurde zu seinen aktiven Zeiten als „Rebell am Ball“ und „König vom Bökelberg“ bezeichnet, war kritischer Fußball-Kommentator, omnipräsent - und nach eigenem Bekunden „ein Glückspilz“, dem im Leben vieles zufiel. Ein Weltstar, eines der großen Idole des deutschen und internationalen Fußballs. Der Mann, der all diese Attribute auf sich vereinigt, feiert am Sonntag seinen 70 Geburtstag.

Fraglos eine schillernde Persönlichkeit - dabei kommt Günter Theodor Netzer aus einfachen Verhältnissen. Sein Vater hatte ein Samen-Geschäft, seine Mutter betrieb eine Art Tante-Emma-Laden. Das Gymnasium verließ er vorzeitig, schloss die Handelsschule ab. Und er konnte Fußball spielen wie wenige andere. Ein begnadeter Techniker mit Schuhgröße 47, einer, der mit seinen raumgreifenden Schritten und exzellenten Pässen eine neue Kultur auf dem Platz entwickelte. Sein einstiger Trainer Hennes Weisweiler ließ ihn machen, ermutigte ihn: „Wenn deine ersten 30 Pässe nicht ankommen, versuche es mit dem 31.“ Und auch mit diesem Freifahrschein machte Netzer es möglich, dass die berühmte Mönchengladbacher Fohlen-Elf mit ihm als genialem Gestalter 1970 und 1971 deutscher Meister wurde.

So wurde Netzer eine Legende des Fußballs. Auch dank solcher Szenen wie in jenem Spiel am 29. April 1972, als die DFB-Auswahl beim 3:1 im Londoner Wembley-Stadion erstmals in England gewann. Oder, vielleicht noch legendärer, das DFB-Pokalfinale gegen den 1. FC Köln im Düsseldorfer Rheinstadion am 23. Juni 1973: Weisweiler ließ Netzer auf der Bank schmoren, ehe sich der Star in der Verlängerung selbst einwechselte („Ich spiel' dann jetzt“) und nur Sekunden später mit einem fulminanten Schuss in den Winkel den Siegtreffer erzielte. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ nannte einen der wohl berühmtesten Treffer des deutschen Fußballs „ein Naturereignis“. Danach war der „Mythos Netzer“ endgültig geboren.

230 Bundesligaspiele bestritt Netzer für Borussia Mönchengladbach, erzielte dabei 82 Tore und gab - zumeist genial gezirkelt - 94 Vorlagen. Nach dem Cup-Erfolg wechselte er zu den „Königlichen“ von Real Madrid und wurde mit dem Weltclub bis 1976 zweimal spanischer Meister. Seine aktive Karriere ging bei den Grasshoppers Zürich (1976 bis 1977) zu Ende.

In der Nationalelf kam das Genie am Ball in nur 37 Länderspielen zum Einsatz. Sein einstiger Rivale Wolfgang Overath wurde bevorzugt - so auch bei der WM 1974 in Deutschland, als der damalige Bundestrainer Helmut Schön den Fußball-Regisseur Netzer nur 22 Minuten spielen ließ. Als Weltmeister fühlte er sich angesichts der kurzen Einsatzzeit nicht. Zwei Jahre zuvor, beim Gewinn der Europameisterschaft 1972, galten Netzer, Libero Franz Beckenbauer und Mittelstürmer Gerd Müller als die drei Protagonisten einer DFB-Auswahl, die bis heute den Nimbus als „spielstärkste Elf“ der Verbandsgeschichte hat.

Später, nach dem Karriereende, wechselte Netzer in das Management - eher ungewollt. Paul Benthien, damals Präsident des Hamburger SV, lag eine Netzer-Offerte vor, das Stadionmagazin zu verlegen. Das wollte Benthien - aber er wollte Netzer auch als Manager. Der stimmte diesem Ansinnen letztlich zu und wurde so Mitbegründer einer der erfolgreichsten Abschnitte in der HSV-Historie überhaupt mit dem Höhepunkt des Erfolgs im Europapokal der Landesmeister 1983.

Nach seiner Zeit bei den Hanseaten (1978 bis 1986) wurde Netzer ein Macher hinter den Kulissen. Er gründete in Zürich, seiner Wahlheimat, eine Agentur, handelte mit Fernsehrechten, wurde Zeitungs- und TV-Kommentator. Sein nach wie vor extrem hoher Bekanntheitsgrad begründet sich auch in der Tätigkeit für die ARD: Gemeinsam mit Gerhard Delling analysierte er bis 2010 die Spiele der deutschen Nationalmannschaft, wurde in dieser Funktion zum „Chefideologen des deutschen Fußballs“ gekürt und erhielt im Jahr 2000 gemeinsam mit Delling den Adolf-Grimme-Preis.

Und heute? Ist die Kultfigur Netzer „rundum zufrieden und dankbar“. Es habe alles gepasst in seinem Leben, das er mit seiner Frau Elvira und Tochter Alana teilt. Mit dem Älterwerden hatte er noch nie Probleme, wie er der Nachrichtenagentur dpa schon zu seinem 65. anvertraute: „Ich kann damit verdammt gut umgehen. Weder 40, 50, 60 noch 65 Jahre sind eine Schwelle für mich. Das ist mein Naturell.“ Und das gilt sicher auch für die jetzt kommenden „70“.

GünterNetzer im Kurzporträt:

Geboren: 14. September 1944 in Mönchengladbach

Stationen als Spieler: 1952 bis 1963 1. FC Mönchengladbach; 1963 bis 1973 Borussia Mönchengladbach; 1973 bis 1976 Real Madrid; 1976-1977 Grasshopper Club Zürich

Bundesligaspiele: 230

Bundesligatore: 82

Länderspiele: 37

Länderspieltore: 6

Erfolge als Spieler: Weltmeister 1974; Europameister 1972; deutscher Meister 1970, 1971; deutscher Pokalsieger 1973; spanischer Meister 1975, 1976; Deutschlands Fußballer der Jahre 1972 und 1973

Tätigkeit im Fußball-Management: 1978 bis 1986 Manager des Hamburger SV; 1991 bis 1992 Berater von Schalke 04

Erfolge als HSV-Manager: deutscher Meister 1979, 1982, 1983; Europacupsieger der Landesmeister 1983

Weitere berufliche Tätigkeiten: 1998 bis 2010 Fußball-Experte der ARD; seit 2002 Executive Director der Infront Sports&Media AG

Außersportliche Auszeichnung: Adolf-Grimme-Preis 2000 für die Moderation mit Gerhard Delling im ARD-Fernsehen