Wembley Schicksalsort für Interimscoach Pearce

London (dpa) - Wieso eigentlich nicht mit Stuart Pearce als Dauerlösung? 100 Tage vor der EM wagt Englands Nationalelf den Neustart - nach Capellos Abschied notgedrungen. Interimscoach Pearce kommt bei den Spielern an und will an seinem Schicksalsort Wembley die Gunst der Stunde nutzen.

Als 14-Jähriger jobbte Stuart Pearce hinter der Bar des Wembley-Stadions. In Londons Fußball-Tempel erlebte Englands Interimscoach auch hochemotionale Momente als Spieler, als er 1996 im EM-Viertelfinale gegen Spanien mit dem entscheidenden Strafstoß sein Elfmeter-Trauma der WM 1990 besiegte. Und im Halbfinale erneut verwandelte, aber der Erzrivale und spätere Europameister Deutschland wieder weiterkam. Deutsche Fans kennen Pearce vor allem verheult.

Pearce war einst als Elektriker in der Gegend um das Stadion unterwegs. Dort absolvierte er auch vor 25 Jahren gegen Brasilien (1:1) das erste seiner 78 Länderspiele. „Ich habe wohl mehr Verbindungen mit der Gegend als jede andere Person, die am Mittwoch im Stadion ist“, sagt der Londoner. Zurück ist der 49-Jährige als Kurzzeit-Coach der Auswahl, die nach Fabio Capellos Hauruck-Abschied den Neuanfang startet. Und das nur 100 Tage vor der EM und gleich gegen die Niederlande. Bei der EM-Vorrunde 1996 zerlegte England die Niederländer 4:1. Vielleicht ein gutes Omen für Pearce.

„Psycho“ nennen sie den früheren Linksverteidiger bis heute auf der Insel wegen seiner kompromisslosen Spielweise. Dabei kommen die Spieler mit ihm offenbar besser aus als mit dem knorrigen, autoritären Capello. Die „Times“ schreibt vom „Wohlfühlfaktor“ und eingekehrter Ruhe auf dem „Post-Capello-Trainingsplatz“. Liverpools Steven Gerrard, der als Favorit auf die Kapitänsbinde gehandelt wird, fühlt einen „Aufbruch, den wir haben müssen für einen erfolgreichen Sommer“. James Milner von Manchester City schwärmt über Pearce: „Als Trainer weiß er, wann er dir in den Arsch treten muss und wann er den Arm um dich legen muss.“

Pearce hatte sich zuletzt selbstbewusst als Langzeitlösung für die EM ins Gespräch gebracht. Der Trainer des britischen Olympia-Teams und der U-21-Auswahl würde das „mit großer Freude tun. Ich bin verfügbar und habe Turniererfahrung.“

Weiterhin gilt aber Tottenham-Hotspur-Coach Harry Redknapp als Top-Favorit. Pearce ist bisher nur für ein Spiel ernannt. Mangels Personal scheinen seine Profilierungschancen in dem Test gegen den Vizeweltmeister begrenzt. Der abgesetzte Kapitän John Terry fällt nach seiner Knie-OP aus. Kurzfristig mussten vier weitere Profis passen, darunter Stürmerstar Wayne Rooney mit einer Halsentzündung. Dabei hatte Pearce bewusst Routiniers wie Frank Lampard und Rio Ferdinand eine Verschnaufpause gegönnt, um eine Mischung aus Jung und Alt aufbieten zu können. Nun sind die „Three Lions“ nur noch jung.

Englands Angriff mit Chelseas Daniel Sturridge (22), Sunderlands Fraizer Campbell (24) und Danny Welbeck (21) von Manchester United kommt auf vier Länderspiele und null Tore - die Oranje-Offensive mit Arsenal-Kapitän Robin van Persie, Dirk Kuyt aus Liverpool und Arjen Robben von Bayern München auf 198 Partien und 64 Tore. Besonders im Blickpunkt steht bei den seit drei Spielen sieglosen Niederländern van Persie, mit 23 Toren derzeit Top-Scorer der Premier League.

Aber auch Bondscoach Bert van Marwijk hat Sorgen. Tottenhams Rafael van der Vaart, einer der sieben England-Legionäre, meldete sich mit einer Knöchelverletzung ab. Sorgenkinder sind auch Wesley Sneijder von Inter Mailand und Robben. Beide haben bei ihren Clubs so ihre Probleme. „Vor zwei Jahren auf dem Weg zur WM sah es deutlich besser aus. Aber die Form bei den Spielern kann schnell wieder zurückkommen“, sagte van Marwijk.