Keine Hinweise auf Suizid von Manfred Amerell

München (dpa) - Am Ende war es still geworden um Manfred Amerell. Sichtlich ermattet von den jahrelangen Rechtsstreitigkeiten mit dem DFB und Referee Michael Kempter hatte sich der ehemalige Sprecher der deutschen Schiedsrichter weitgehend aus der Öffentlichkeit zurückgezogen.

Sein plötzlicher Tod lässt den deutschen Fußball konsterniert zurück. Nach der Obduktion der Leiche deutete nichts auf einen Suizid oder Fremdverschulden hin, teilte die Polizei mit. Auch ein Abschiedsbrief wurde nicht gefunden. Der „fortgeschrittene Verwesungszustand“ habe die Ermittlungen zunächst erheblich erschwert, so Kriminaldirektor Frank Hellwig.

Erst durch die Auswertung des Zahnschemas wurde Amerell als das Opfer identifiziert. Ein toxikologisches Gutachten soll für weitere Klarheit sorgen. Mit diesen Ergebnissen wird aber erst in zwei Wochen gerechnet.

In einer ersten Reaktion legte die Deutsche Fußball Liga zu Beginn ihrer Mitgliederversammlung eine Schweigeminute ein, für den DFB sagte Generalsekretär Helmut Sandrock: „Wir wollen aus Pietätsgründen abwarten und derzeit keine Stellungnahme abgeben.“ Die Kanzlei von Amerells Anwalt Jürgen Langer reagierte „bestürzt und in tiefer Trauer“ auf die Nachricht: „Wir fühlen ganz besonders mit der Familie von Manfred Amerell, die auch den letzten - sehr schweren - Lebensabschnitt mit ihm geteilt hat. Wir werden ihn nicht vergessen.“

Amerell war am Dienstagnachmittag im Münchner Stadtteil Neuhausen tot aufgefunden worden. Der Leichnam sei in einem „sehr schlechten Zustand“ gewesen, teilte Hellwig mit. Die Polizei vermutete, dass Amerell bereits eine Woche tot gewesen sei. Die Feuerwehr hatte sich nach Hinweisen eines Bekannten Amerells über eine Drehleiter Zugang zur Wohnung verschafft. Der ehemalige Unparteiische hinterlässt eine Frau und zwei erwachsene Töchter.

Mit Amerells Tod endet eine der unangenehmsten Diskussionen, die der Deutsche Fußball-Bund (DFB) in den vergangenen Jahren führen musste. Amerell galt als eine Reizfigur, die auch den Ex-DFB-Boss Theo Zwanziger in Bedrängnis brachte. Monatelang hatten sich Amerell und der frühere FIFA-Referee Kempter eine juristische Schlammschlacht geliefert. Am 7. Dezember 2011 endete die Affäre mit einem Vergleich vor dem Oberlandesgericht Stuttgart. Kempter hatte Amerell sexuelle Übergriffe vorgeworfen, später aber seine Aussagen zurückgezogen, er hätte dem 36 Jahre älteren Kollegen klar signalisiert, keine sexuellen Kontakte zu wollen. Amerell hatte die Vorwürfe bestritten.

Seit Beginn des Falls fühlte sich der streitbare Amerell vom DFB diffamiert. Zwanziger nannte er „die größte menschliche Enttäuschung meines Lebens“. Der DFB-Boss, der sich früh auf Kempters Seite gestellt hatte, sei rücksichtslos über Leichen gegangen und habe seine Fürsorgepflicht verletzt. „Meine Lebensqualität geht gegen Null. Kein Mensch kann erahnen, was du im seelischen und familiären Bereich aushalten musst“, so Amerell. Es sei jetzt seine „Lebensaufgabe, die Scherben zusammenzukehren. In zahlreichen Klagen hatte er immer wieder vergeblich versucht, seinen Ruf zu retten, wirkte dabei aber zeitweise wie ein Besessener auf Rachefeldzug.

Der Fall Amerell/Kempter war 2009 nur der Auslöser des großen Schiedsrichter-Skandals. Viele weitere Affären wie die Ermittlungen wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung gegen Top-Referees - ausgelöst durch den nicht konfliktscheuen Amerell - hingen damit zusammen. Der Jurist Christoph Schickhardt, der Kempter während des Rechtsstreits vertrat, wollte am Mittwoch keine Stellung nehmen: „Wir äußern uns nicht.“

Seit April dieses Jahres war es ruhig um Amerell geworden. Seine Aussage „Seit dem 1. Februar 2010 lebe ich nicht mehr, ich existiere nur noch“, hatte bereits wie ein Notruf geklungen. Der gelernte Hotelier schottete sich ab, in Fußballstadien tauchte er in der jüngsten Vergangenheit nur einmal auf - im August besuchte er ein Heimspiel der Münchner „Löwen“. Stattdessen bereitete er sich auf zwei weitere Klagen vor. Amerell wollte den DFB wegen Verletzung seiner Persönlichkeitsrechte auf Schadensersatz angehen, gegen Kempter war ein Strafantrag wegen versuchten Prozessbetrugs in Arbeit.

„Er war ein sehr rigoroser Mensch“, sagte der ehemalige WM-Schiedsrichter Bernd Heynemann dem TV-Sender Sky Sport News HD. „Als Schiedsrichter hatte er den Spitznamen 'Aquarell', weil er so viele Karten gezogen hat. Er war ja dann noch Schiedsrichter-Beobachter. Er war ein sehr geradliniger Mensch.“

Amerell hatte 1984 in der 2. Liga sein Schiedsrichterdebüt gegeben, zwei Jahre später feierte er seine Premiere in der Bundesliga. Insgesamt pfiff er 66 Begegnungen in der deutschen Eliteliga. Nach der Leitung des Pokalfinals 1994 zwischen Werder Bremen und Rot-Weiß Essen beendete er seine Karriere als Schiedsrichter und wechselte als Funktionär zum DFB. Am 12. Februar 2010 war er aus „gesundheitlichen Gründen“ als Sprecher der deutschen Referees zurückgetreten. Vor seiner Schiedsrichtertätigkeit war Amerell Geschäftsführer bei 1860 München (1970 bis 1975), beim FC Augsburg (1975 bis 1979) und beim Karlsruher SC (1979 bis 1984).